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Der Sommer der Schmetterlinge

Der Sommer der Schmetterlinge

Titel: Der Sommer der Schmetterlinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adriana Lisboa
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Jacarandaholz hing ein geschnitztes Kruzifix. Und ein Ölgemälde, auf dem ein Junge mit einem Hündchen zu sehen war. Hinter dem Bild lebte eine Eidechse, die nur nachts hervorkroch, um Moskitos und andere kleine Insekten zu fressen.
    Otacília sagte, sie würde gern duschen und sich ein wenig zurechtmachen. Wie ein Verurteilter, der das Recht hat, die Speisen seiner Henkersmahlzeit auszuwählen, und einen Berg Leckereien, guten Wein, frischgemahlenen Kaffee und ausländischen Likör verlangt. Maria Inês und Clarice halfen ihr, zum Bad zu gehen und sich zu entkleiden. Ihr Körper war abgemagert, die Muskeln durch den fehlenden Gebrauch verkümmert. Ihre Brüste waren klein, Brüste, die Maria Inês (nicht aber Clarice) geerbt hatte. Otacília hatte keine Narben, weder von einem Kaiserschnitt noch von einer Blinddarmoperation oder als Folge einer Verzweiflungstat. Aber sie hatte diese Wundenauf der Haut, die Maria Inês mit Bestürzung wahrnahm.
    Sie setzten ihre Mutter auf den Plastikhocker, der unter der Dusche stand. Otacília konnte sich nicht mehr allein waschen und sich auch nicht mehr lange auf den Beinen halten. Als das wohltuende, warme Wasser über ihr inzwischen spärliches graues Haar lief, flüchtete Otacília zum zweiten Mal aus ihrem Ich. Diesmal dauerte es länger, und sie war fest davon überzeugt, dass sie sich in São Lourenço befand. Dem Ort ihrer Hochzeitsreise. In einer Zeit, in der sie noch an viele Dinge geglaubt hatte, sogar an sich selbst. Sie lächelte ein glückliches Lächeln (guter Wein, frischgemahlener Kaffee).
    Maria Inês und Clarice blickten sich nicht an, während sie Otacília einseiften und ihre Haare mit Shampoo wuschen. Aber sie wechselten ein paar unechte Worte:
    Ich wette, die Plätzchen gelingen.
    Das Rezept ist prima. Großtante Berenice hat es mir beigebracht, als ich bei ihr gewohnt habe.
    Aha.
    Ich glaube, ich mache uns einen Tee. Oder eine heiße Schokolade. Was meinst du?
    Ja, gut. Lass uns einen Imbiss vorbereiten wie auf einer dieser reichen Fazendas. Ich werde Saft und Milchbrötchen machen.
    Dann begann Clarice aufzuzählen: Wir haben Honig, wir haben Guavengelee, wir haben Butter. Und natürlich gefüllte Plätzchen. Und die Liebesküchlein, die Narcisa gestern gebacken hat.
    Wir werden uns alle an den Tisch setzen.
    Und auf Papa warten.
    Und auf Papa warten.
    Glücklich.
    Glücklich.
    Duftend.
    Duftend.
    Gekämmt.
    Gekämmt.
    Es war, als ob sie mit einem Kind redeten. Doch das spielte keine Rolle, denn Otacília hörte nicht zu.
    Etwas sehr Heimliches und Böses ging durch das Bad wie ein Geist. Und ging wieder hinaus, wie der Geist eines Geistes.
    Es war kein Importwagen, mit dem Maria Inês und Eduarda kamen. Aber er hatte eine Klimaanlage. Ohne Airbags und elektrische Fensterheber. Mit einem CD-Player, der für Maria Inês Bernardo Águas’ Interpretation von Monteverdi oder den Soundtrack von Good Will Hunting abspielte, den sie sich von Eduarda geborgt hatte.
    Sie waren ins Gebirge hinaufgefahren und mit tauben Ohren in Friburgo angekommen. Wieder einmal erklärte Maria Inês ihrer Tochter den Trick, mit dem man den Druck aus den Ohren bekam: Du hältst dir die Nase zu und bläst kräftig.
    Eduarda gehorchte und scheiterte, wie jedes Mal: Es hilft nicht. Das verstopft meine Ohren nur noch mehr!
    Jetzt schlucken.
    Eduarda schluckte, ein Mal, zwei Mal. Das nützt überhaupt nichts, Gähnen ist besser. Sie gähnte mehrmals. Endlich wich der Druck aus dem linken Ohr, aber das rechte quälte sie weiter.
    Auf der restlichen Fahrt redeten sie wenig. Das Auto holperte über die zahlreichen Temposchwellen am Ortsausgang von Friburgo. Am linken Straßenrand, neben dem Fluss, der sich dort kläglich und schmutzig entlangschlängelte, parkten Lastwagenfahrer und verkauften Wassermelonen, Orangen und Mandarinen. Rechts sah man einige Möbelhäuser. Dann hässliche, düstere Reifendienste. Großbäckereien. Und ein riesiges modernes Gebäude, das vor zehn Jahren noch nicht da gewesen war, als Maria Inês diesen Weg zum letzten Mal zurückgelegt hatte.
    Nach Friburgo ließen sie die frische Gebirgsluft hinter sich. Doch Maria Inês und Eduarda bekamen davon nichts mit, denn die Klimaanlage tat ihren Dienst ausgezeichnet. Ihr Auto war eine bewegliche Blase mit europäischem Klima, die mitten im Hochsommer durch das Landesinnere des Staates Rio de Janeiro rollte.
    Plötzlich wich der Druck aus Eduardas Ohr.
    Ah. Na endlich!
    Dann zog sie sich wieder in sich zurück. Um

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