Der Sommer der silbernen Wellen: Roman (German Edition)
deine Rolle«, fügte er hinzu.
»Sehr unwahrscheinlich. Ich bin eine schlechte Schauspielerin und meilenweit entfernt von Mia Farrow, wie man sieht!« Ich musste lachen. Simon konnte nicht ahnen, was genau ich so lustig fand, denn weder wusste er bis jetzt, dass ich Mia hieß, noch, dass ich nach Mia Farrow benannt worden war. Mom hatte alle Mia-Farrow-Filme auf DVD oder Video, ja, sie besaß unendlich viele Filme, in denen blonde Schönheiten wie Grace Kelly, Jean Harlow und Eva Marie Saint – die Namenspatin meiner Schwester – die Hauptrollen spielten. Im Gegensatz zu Eva war ich jedoch eine Fehlbesetzung für meine Rolle, schließlich ist Mia, die Schauspielerin, ein schmächtiges Blondchen mit babyhafter ›Hello Kitty‹-Stimme wie die von Beth.
»Fitzgerald hat Long Island als Ort der Handlung gewählt, aber die Namen etwas verändert: West Egg – das sollte Great Neck sein. Da haben in den zwanziger Jahren die gesellschaftlich unbedeutenden Leute gewohnt. East Egg sollte Sandy Point sein, wo die Häuser der feinen Gesellschaft standen. Leuten wie euch.«
»Ich gehöre nicht zur ›feinen Gesellschaft‹«, entgegnete ich und fügte verteidigend hinzu: »Außerdem wohnst du nebenan, also auch nicht gerade in einer Bruchbude.«
»Stimmt schon.« Simon dachte eine Weile darüber nach. »Aber Geld allein reicht nicht, oder? Um dazuzugehören, meine ich.«
»Stimmt«, gab ich diesmal zu. Selbst wenn ich Geld wie Heu gehabt hätte, hätte ich nicht besser zu meinen Cousinen und ihren Freunden gepasst.
»Ich halte mich inzwischen lieber von diesen supercoolen Leuten fern.«
»Aha. Und warum tauchst du dann uneingeladen hier auf der Party auf?«, gab ich zurück.
»Um dich zu treffen«, erwiderte er prompt. »Ich habe dich letzte Woche ankommen sehen und dachte: Diese Frau würde ich gerne kennenlernen!«
»Ha, ha, ha«, machte ich und wandte mich ab. Ich wurde immer noch nicht schlau aus ihm. Wollte er mich auf den Arm nehmen? Aber woher sollte ich das wissen? Ich kannte mich nicht mit den Leuten hier aus. Sie waren so schnell mit einem Lächeln oder cleveren Kommentaren bei der Hand … das brachte mich aus dem Konzept. An dieser Stelle beschloss ich, dass der Abend für mich lang genug gewesen war.
»Jetzt muss ich aber wirklich gehen«, sagte ich, drängte Simon beiseite und ging über die Veranda Richtung Eingang, auf der Suche nach meinen Schuhen, die ich dort irgendwo stehen gelassen hatte, nachdem Corinne und ihre Freunde mich versetzt hatten.
»Hey!«, rief er hinter mir her, als ich eine der Glasschiebetüren öffnete.
»Was ist?«
»Du hast mir deinen Namen nicht gesagt.«
Hätte ich ihm die Wahrheit gesagt, er hätte mir nicht geglaubt. »Daisy«, antwortete ich lächelnd. Dann ging ich rein.
Nachdem sich Corinne und Gen kichernd raufgeschlichen hatten, hörte ich meinen Onkel, meine Tante und meine Eltern nach Hause kommen. Unglaublich, dass sie so lange weggeblieben waren, dass sie es länger ausgehalten hatten als wir alle. Glück gehabt. Das hatte mir nämlich Zeit gelassen, stapelweise Pappteller in Mülltüten zu werfen, leere Schnapsflaschen in der Garage zu verstecken und Zigarettenkippen von der Veranda zu fegen.
»Mach dir keinen Stress«, hatte Beth von der Couch aus gehaucht, wo sie bei einem Typen auf dem Schoß lag. »Morgen kommt die Putzfrau.«
Putzfrau oder nicht, ich wollte nicht, dass das Haus wie ein Saustall aussah. Das hätte uns garantiert Ärger eingebracht. Andererseits war ich mir bei genauerem Nachdenken gar nicht mehr so sicher. Tante Kathleen und Onkel Rufus hatten mich schon mehrmals überrascht. Sie ließen ihren Töchtern alle Freiheiten und verlangten nie so etwas wie Aufräumen oder die Einhaltung irgendwelcher Ausgehzeiten von ihnen. Wenn ich sie nicht besser gekannt hätte, hätte ich geglaubt, sie gehörten zu den Eltern, denen alles egal war.
Doch ich kannte sie besser. Sie liebten ihre Kinder über alles, und offenbar ließen sie Beth und Corinne an der langen Leine, weil sie die Risiken aus Liebe in Kauf nahmen und einfach nur wollten, dass ihre Töchter glücklich waren und einen schönen Sommer verlebten. Was für ein Glück Beth und Corinne hatten! Was sie allerdings nicht zu schätzen wussten. Es schien fast so, als wollten sie betrunken, beim Kiffen oder was auch immer erwischt werden. Sie gaben sich kaum Mühe, irgendetwas zu verbergen. Das kam mir dämlich vor.
Wie auch immer. Es ging um mich, nicht um sie, und ich wollte nicht,
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