Der Sommer der silbernen Wellen: Roman (German Edition)
dass mein Onkel und meine Tante mich für eine Schlampe hielten, der es egal war, dass ihr Haus verwüstet worden war. Deshalb räumte ich die größte Unordnung auf, was mich eine gute Dreiviertelstunde kostete. Und danach waren immer noch keine Eltern in Sicht.
Nachdem ich endlich hinauf in mein Zimmer gegangen war, schrieb ich noch ein bisschen in mein Tagebuch und ließ die Party und die Begegnung mit Simon Revue passieren. Ich wusste nicht, was ich von ihm halten sollte, deshalb schrieb ich seinen Namen hin, gefolgt von mehreren Fragezeichen. Wer war er? Würde ich ihn wiedersehen? Nicht, dass ich scharf darauf war, mit irgendeinem Typen rumzuhängen. Ich misstraute schnellen Bekanntschaften, insbesondere mit Jungs. Und vor allem einem Jungen, der aus berühmten amerikanischen Romanen zitieren konnte. Entweder war er interessant oder einfach nur ein Angeber.
Nur die Zeit würde zeigen, was dahintersteckte.
Ich legte meinen Stift weg, kletterte aus dem Fenster und setzte mich aufs Dach. Simons Haus lag weiter den Strand hinauf zu meiner Linken, aber ich konnte es von meinem Standort aus nicht sehen, nicht einmal irgendwelche Lichter. Zwar grenzte das Grundstück unmittelbar an das von Wind Song, aber das Haus lag trotzdem noch ziemlich weit den Strand hinunter. Dazu versperrten Bäume und Büsche die Sicht auf die Front und die Seiten des Gebäudes – »gottlob«, wie meine Tante meiner Mutter gegenüber bemerkt hatte, als sie die Renovierungsarbeiten beschrieb, die die neuen Besitzer hatten durchführen lassen.
»Außenrum ist so viel Glas und Metall, dass alles zusammen wie ein Vergrößerungsglas gewirkt hat und all die Bäume verbrannte, die sie angepflanzt hatten«, hatte meine Tante meiner Mutter erzählt.
Ich versuchte, mir Simon in diesem Haus vorzustellen, wie er in seinem Retro-Anzug alte Klassiker las. Und ich hatte gedacht, ich sei hier fehl am Platze! Doch mein Lächeln verschwand, als ich an die Schmeicheleien dachte, die Simon so leicht von den Lippen geflossen waren . Ich habe dich letzte Woche ankommen sehen und dachte: Diese Frau würde ich gerne kennenlernen! Ein ganz schöner Schleimer. Vielleicht hatte er mich aber auch nur auf den Arm genommen. Wie auch immer, ich war nicht bereit, mich als Objekt für die Spielchen gewisser Jungs herzugeben.
Ich stand auf und ging wieder zu Bett, froh, dass Simon mich nur als Romanfigur kannte. Mir gefiel diese Art von Distanz. Sie passte mir gut in den Kram.
Ich schlief gerade ein, als ich hörte, wie meine Mutter meine Tür einen Spalt öffnete. »Bist du noch wach, Mia?«, fragte sie leise, aber ich antwortete nicht. Hauptsächlich, weil ich nicht über die Party reden wollte. Ich hatte keine Lust auf die gespannten Fragen meiner Mutter. Ob ich interessante Leute kennengelernt habe? Ob alle mein Kleid bewundert hätten?
Sie erträumte sich eine glänzende Zukunft für mich, obwohl sie genau wusste, dass ich nicht das Mädchen ihrer Wünsche war. Als ich mir vorstellte, ihr zu erzählen, dass ich mich mit einem Jungen unterhalten hatte, der tatsächlich mein Kleid hübsch fand, ahnte ich, dass sie von Simon wenig begeistert gewesen wäre. Denn wenn er nicht zu den Leuten gehörte, die »in« waren, dann war er ein Niemand. So dachte sie.
kapitel vier
Ich wachte vor allen anderen auf, um sieben Uhr. Obwohl ich müde war, konnte ich nicht wieder einschlafen, deshalb beschloss ich, schwimmen zu gehen, um den Qualmgeruch meiner Haare loszuwerden.
Der Strand war leer, als existiere er nur für mich. Ich machte einen langen Strandspaziergang. Es herrschte Ebbe. Muschelschalen glänzten im Morgenlicht, und kleine Wellen schwappten mir über die Füße.
Ich kam an alten Holzhäusern und Strandhütten vorbei. Hinter ihnen und weiter am Strand entlang erhoben sich neuere Häuser und überragten die alten: Gebäude mit Kuppeldächern und mehreren Eigentümern, die jeweils für eine festgesetzte Zeit des Jahres dort wohnten, daneben riesige Betonklötze mit wuchtigen Pfeilern und so viel Glas, dass einem beim Hinsehen die Augen weh taten. Wieder dachte ich daran, wie meine Tante Simons Haus beschrieben und ihm die Wirkung eines Vergrößerungsglases nachgesagt hatte.
Als ich so an den Strandhäusern entlangwanderte, stellte ich fest, dass es hier nicht viele Leute gab, die das einfache Leben schätzten. In meinen Augen sahen ihre Ferienhäuser wie Stadthäuser aus, obwohl ich immer geglaubt hatte, der Sinn eines Urlaubs bestehe darin, den Alltag hinter
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