Der Sommer der silbernen Wellen: Roman (German Edition)
mit leuchtenden grauen Augen und verträumtem Blick, wie immer, wenn er über Malerei oder alten Jazz redete. Und ich war froh, dass er seinen Gedanken nachhing und nicht so sehr auf mich achtete, denn meine Gefühle drohten mich zu überwältigen. Ich dachte, ich würde es nicht schaffen, sie mit ihm zu teilen. Ich blickte hinaus auf die Wellen, die an den Indigo Beach schlugen, und beobachtete, wie das Wasser auf und nieder wogte.
Ich war so glücklich, so ängstlich, so glücklich. So ängstlich. Obwohl ich auf dem Trockenen stand, fühlte ich mich seekrank.
»Ich habe Apfelsinen und Marshmallows mitgebracht«, sagte Simon und zeigte auf die Umhängetasche, die er über der Schulter trug.
»Vernünftige Ernährung«, scherzte ich, während wir unsere Handtücher ausbreiteten. Ich beobachtete, wie eine Möwe aus der Luft stürzte und ins Wasser eintauchte, doch nicht einmal diese Szenerie – die Möwe, die in der Luft träge Bögen zog, das blaue Wasser, der mit weißen Wölkchen getupfte Himmel –, nicht einmal diese Postkartenidylle konnten die Angst in meinem Inneren beschwichtigen … die Angst, jemandem mein Herz zu schenken, mich mit all meinen Gefühlen einem anderen auszuliefern. Dabei taten die Menschen das ständig. Ich hatte es auch schon hinter mir. Und war dabei, es wieder zu tun.
»Deine Tante hat uns am Freitag zum Grillen eingeladen.« Simons Stimme durchbrach meinen inneren Monolog, und ich lächelte angespannt.
»Ich weiß.« Noch etwas, was mir auf der Seele lag. In nur drei Tagen! Angenommen, meine Mutter verhielt sich Simons Eltern gegenüber herablassend? Und Simons Vater – eine leise tickende Zeitbombe. Ich wusste, dass Tante Kathleen es gut meinte und mir einen Gefallen tun wollte, aber ich hatte eine Heidenangst davor.
»Keine Sorge. Ich werde mich vorbildlich benehmen«, scherzte Simon.
Ich drehte mich um und sah ihm geradewegs in die Augen. »Deinetwegen mache ich mir keine Sorgen. Ich befürchte nur, dass du mich hassen wirst, nachdem du meine Familie kennengelernt hast.«
»Dito.«
»Ich kenne deine Eltern schon«, entgegnete ich und nahm Simons Hand.
»Du hast sie gerade mal fünf Minuten lang erlebt.«
Ich fuhr mit dem Zeigefinger Simons Handlinien entlang. »Ach, was soll’s. Sie alle haben nichts mit uns zu tun.«
Aber weder meine Worte noch Simons Hand, die meine umschloss, konnten mich beruhigen. Ich sorgte mich um alles Mögliche: das nahende Abendessen, den Kontrollverlust, wenn ich mich ganz fallen ließe, und dazu die Familiengeheimnisse, auf die Corinne angespielt hatte. Ich wusste, da war noch etwas.
Ich starrte auf die Strandlandschaft, die sanft geschwungenen Dünen, die Holzpalisaden – die klassische Long-Island-Szenerie. »Ich habe immer gedacht, das wären Lattenzäune«, sagte ich traurig und deutete auf die Holzpalisaden, die sich durch den Sand zogen. »Hübsche Einfriedungen von Grundstücken. Sie waren immer untrennbar mit meiner Vorstellung von den Hamptons verbunden – schöne Sommerhäuser mit Lattenzäunen.«
»Aber das sind sie nicht?«, fragte Simon stirnrunzelnd.
»Nein, sie sollen die Erosion aufhalten.«
»Wer hat dir das erzählt?«
»Meine Tante.« Ich seufzte, fuhr mit der freien Hand durch den Sand, hob eine Handvoll auf, öffnete dann die Faust und ließ die Körner herausrieseln. »Die Dünen drohen zu verschwinden, weil hier draußen so viele neue Häuser entstehen. Das passiert, wenn man auf Sand baut …«
»Sandburgen«, bemerkte Simon und folgte meinem Blick an den Silhouetten der Villen entlang, die die Dünenlandschaft die Küste hinauf und hinunter kennzeichneten, so weit das Auge reichte.
»Ich wünschte, sie hätte es mir nicht gesagt«, seufzte ich, plötzlich tief bedrückt. »Das mit den Zäunen, meine ich.«
»Sie sehen aber trotzdem hübsch aus«, bemerkte Simon.
Ich lächelte. »Stimmt«, sagte ich nach einer Weile. »Stimmt, trotz allem.«
Simon hob mit einem Finger mein Kinn. Er küsste mich, streichelte mit beiden Händen an meinem Rücken hinunter, und der harte Knoten in meinem Bauch löste sich. Alle meine Sorgen zerfielen in kleine Teilchen und wurden vom Wind fortgeweht. Ich empfand nur noch die unmittelbare Wirklichkeit: Simons Hände, die meine Haut wärmten, die Sonne, die helle, rotgoldene Flecken auf seine Haare warf, und seinen drängenden, leidenschaftlichen Kuss, der mir alles nahm und es in eine Art flüssiges Feuer verwandelte.
Ich erwiderte seinen Kuss aus ganzem Herzen. Mein
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