Der Sommer der silbernen Wellen: Roman (German Edition)
»Mein Vater … Ich habe alles getan, um ihn von seinen Wharton-Plänen abzubringen.« Unglücklich schüttelte er den Kopf. »Mein Leben lang hat er versucht, mich zu kontrollierten. Er wird mir im Nacken sitzen bis ans Ende meiner Tage.«
»Hast du ihm je deine Bilder gezeigt?«, fragte ich leise. »Vielleicht versteht er einfach nicht …«
»Er wird es nie verstehen«, unterbrach mich Simon und stieß frustriert seine Bierdose in den Sand. »Er ist ein totaler Holzkopf. Zwar hat er sich mit den Jahren ein paar oberflächliche Manieren angeeignet, aber er ist und bleibt ein ungehobelter Klotz. Ich besitze selbst einige Kunstwerke. Dabei sind ihm die Gemälde doch völlig schnurz! Für ihn bedeuten sie nur eine Geldanlage. Eine Investition. Als ob mein Vater einen Jackson Pollock zu schätzen wüsste! Ein Witz ist das.«
»Sag deinem Vater doch einfach, er kann dich mal. Du brauchst ihn doch nicht, um nach Europa oder sonst wohin zu gehen«, mischte sich Corinne ein. Wir drehten uns beide um. Sie war so schweigsam gewesen, dass wir gar nicht mehr an sie gedacht hatten. Sie klopfte Zigarettenasche ab, die vom Wind davongeweht wurde. »Wenn du das wirklich willst, solltest du dich von nichts und niemandem daran hindern lassen!«, fügte sie leidenschaftlich hinzu.
Ich lächelte sie an, doch sie wandte den Blick ab und starrte in den Sand. »Wie dem auch sei«, fügte sie geistesabwesend hinzu. »Im Kino wäre das der passende Kommentar gewesen. Aber was weiß ich denn schon? Ich habe nicht den Drang, irgendwohin zu gehen. Ich weiß nur, wo ich nicht hinwill.«
»Du hast absolut recht«, sagte ich und blickte erst Corinne, dann Simon an. »Du solltest ihn einfach ignorieren.«
Simon nickte. »Sobald ich mit der Highschool fertig bin, bin ich weg«, sagte er fest entschlossen und fügte hinzu: »Er kann mich nicht aufhalten.«
»Nein, das kann er nicht.« Ich drückte Simons Arm und spürte, dass sein ganzer Körper angespannt war. Wie weit würde sein Vater gehen, um ihn klein zu halten?
Corinne stand auf und ging hinunter zu Beth und Eva. Schweigend sahen wir zu, wie sie eine Sandburg bauten. Ich stützte mich rückwärts auf meine Arme. Der zunehmende Mond schwebte splitterdünn am Himmel. Simon folgte meinem Blick.
»Findest du nicht, dass er aussieht wie ein abgebissener Fingernagel?«, sinnierte er. »Als Kind habe ich mir Gott als nägelbeißenden Riesen vorgestellt. Vor lauter Sorge über unsere irdischen Probleme biss er alle paar Wochen einen Fingernagel ab und spuckte ihn in den Himmel.«
Ich lächelte. »Glaubst du noch an Gott?«
Simon runzelte nachdenklich die Stirn. »Ich glaube jedenfalls, dass es da draußen irgendetwas gibt … Kann sein, dass ich enttäuscht bin, wenn ich sterbe und unrecht habe.« Er zuckte mit den Schultern. »Aber das ist unwichtig.«
»Doch, das ist wichtig!«, konterte ich. »Wenn du an etwas glaubst, und es stellt sich heraus, dass du unrecht hattest, dann war dein Glaube Zeitverschwendung. Du hast dir die ganze Zeit etwas vorgemacht.« Ich biss mir auf die Lippe und wünschte, ich hätte nicht so negativ geklungen. Simon konnte jetzt wirklich keine so destruktive Diskussion mit mir gebrauchten.
Doch anstatt ihn zu deprimieren, bewirkten meine Worte das Gegenteil. »Das stimmt nicht. An etwas zu glauben ist niemals Zeitverschwendung.« Simon sah mich eindringlich an. »Selbst wenn man sich irrt, kann es etwas Gutes haben. Zum Beispiel ich und meine Malerei. Ich weiß nicht, ob ich wirklich gut bin. Also sollte ich mich vielleicht gar nicht bemühen, um mich vor einer Enttäuschung zu bewahren. Aber es ist genau so, als wenn du am Strand nach alten Münzen suchst. Ob du welche findest oder nicht, ist gar nicht entscheidend – was zählt, ist die Suche. Es ist der Glaube, dass sie dort draußen sein könnten.«
In Simons Stimme lag eine so große Überzeugung, dass ich wünschte, ich könnte sie teilen. Doch ich konnte nicht an Gott glauben, denn wenn es darauf ankam, verließ ich mich auf Fakten. Glaube war einfach nichts für mich, und so ging es vielen Leuten, wie mir jetzt klarwurde. Aber Simon war anders. Der Glaube lag in allem, was er tat und sagte: eine Art Leuchten, wie ich es außer bei ihm noch nie bei einem anderen Menschen gesehen hatte.
»Aber wie kannst du an so vieles glauben, wenn alles um dich herum …?« Ich sprach meinen Satz nicht zu Ende, weil mir sein Vater in den Sinn kam, seine strengen, stahlharten Augen, seine Entschlossenheit,
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