Der Sommer der Toten
makabren Gebinde unnötig Auftrieb verlieh, aber doch nicht zu viele, damit der Sack zumindest in den nächsten Jahren zusammenhielt.
Danach war er so schwer, dass die beiden Frauen ihn nur mit vereinten Kräften und unter großer Mühe in den Kofferraum wuchten konnten.
Sie warteten nicht lange und fuhren los.
„Das wird eine recht raue Strecke“, erklärte Anna. „Der Tümpel liegt etwas außerhalb und kann nur über eine schlecht ausgebaute Nebenstrecke erreicht werden.“
„Klingt wie geschaffen“, kommentierte Bianca.
„Kommt noch besser“, berichtete Anna grinsend. „Ich kenne diesen Tümpel vor allem aus meiner Pubertät. Hier in der Umgebung nennt man ihn den Totensee. Es ranken sich da auch so einige Legenden darum. Noch viel früher hatte man dem Ding auch schon Namen wie Knochentümpel oder Teufelsweiher verpasst.“
„Klingt ja richtig heimelig“, feixte Bianca nervös. „Da werden sich unsere Freunde ja so richtig wohl fühlen.“
„Und sie werden weitgehend ungestört sein“, fuhr Anna fort. „Zu den Zeiten meiner Pubertät galt es als Mutprobe, eine Nacht an dem Tümpel zu zelten. Vor einigen Jahren wurde dabei aber ein Mädchen vergewaltigt und erwürgt. Der Täter ist bis heute nicht gefasst. Seither ist den Kids die Lust an solchen Mutproben vergangen. Ansonsten traut sich auch keiner in die Nähe dieses Tümpels, denn da gab es schon so einige Geschichten. Dass sich der Tümpel die Seelen der Sünder holt und ähnlicher Blödsinn.“
„Und die Leute glauben an solch einen Schwachsinn?“, fragte Bianca perplex.
„Schätzchen, du bist hier in der finstersten Provinz“, gab Anna grinsend zu bedenken. „Und wir beide hätten lebenden Tote noch vor einigen Tagen ebenfalls als Schwachsinn abgetan. Ich jedenfalls habe mir angewöhnt, mit solchen Begriffen mal ein wenig vorsichtiger zu sein.“
„Der Punkt geht an dich“, gab Bianca zu.
Kurz vor dem Ortseingang von Berghausen bog Anna ab und folgte einer Straße, die bestenfalls als Feldweg de luxe bezeichnet werden konnte. Die Straße war geteert, aber die Teerdecke wies erhebliche Schäden auf. Hier und da ragten auch noch Leitpfosten wie alte faulige Zähne auf. Die Piste war kurvenreich, unübersichtlich und wirklich holprig, sodass Anna auch kaum schneller als dreißig Stundenkilometer fahren konnte – mehr wäre auch schon fast Selbstmord gewesen.
So dauerte es doch eine geraume Zeit, ehe sie den Tümpel erreichten.
Erwartungsgemäß waren sie alleine. Als sich Bianca umsah, fröstelte sie unwillkürlich. Obgleich es wieder ein extrem heißer Sommertag war, schienen hier die Temperaturen zu sinken.
Insgeheim gab Bianca Anna recht. Hier konnten sie schon fast den Sack mit den abgetrennten Köpfen offen herumliegen lassen, ohne dass sie jemand entdecken würde. Keiner verirrte sich freiwillig hierhin.
Diesen Tümpel als See zu bezeichnen, war eine krasse Übertreibung. Das Gewässer war nahezu kreisrund und hatte einen Radius von höchstens zwanzig Metern. Laut Anna war er aber sehr tief.
Dem Wasser war anzusehen, dass dieser See schon seit langem biologisch tot war. Das brackige Wasser war fast schwarz. Laub und halb vermoderte Äste schwammen auf seiner Oberfläche. Der Waldboden, der sonst mit verschiedenen Rankpflanzen überwuchert war, war rund um das Ufer kahl.
Anna hatte Bianca zu verstehen gegeben, dass es sehr töricht wäre, in das Wasser steigen zu wollen, da der See bereits in Ufernähe sehr tief war, weil der Boden fast steil absackte.
Das kam den beiden Frauen natürlich sehr entgegen, denn so konnten sie den Sack auf Nimmerwiedersehen versenken, ohne mit einem Boot oder Ähnlichem auf die Mitte fahren zu müssen.
Sie holten den Sack aus dem Kofferraum und zerrten ihn zum Ufer. Sie brauchten dazu länger, als Bianca lieb war. Sie würde alles dafür geben, in das Auto zu springen und loszufahren, so schnell es ging. Der Ort behagte ihr einfach nicht.
Aber sie bissen die Zähne zusammen, zogen und zerrten, und schließlich hatten sie den Sack auf dem kahlen Waldboden neben dem Ufer des Tümpels liegen. Sie atmeten kurz durch, dann bückten sie sich und kippten gemeinsam den Sack in das Wasser.
Mit einem dumpfen Platschen landete der Sack auf der Wasseroberfläche und ging nahezu unverzüglich unter.
„Gott sei Dank!“, rief Bianca aus und ging rasch vom Ufer weg in Richtung von Annas Wagen. Sie hatte gerade fast die Beifahrerseite des Mercedes erreicht, als sie alarmiert von Annas Schrei auf
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