Der Sommer der Toten
ging es auch nicht viel besser), blieb wortlos und wartete ab, bis Anna wieder das Wort ergriff.
Das sollte erst am Ortseingang von Berghausen der Fall sein.
„Bullen?“, fragte sie, als sie die Polizeistreife gewahrte, die am Ortseingang stand. Ein Polizist bedeutete ihr per Handzeichen, anzuhalten.
Anna tat wie geheißen und ließ das Seitenfenster heruntergleiten.
„Ich kann Ihnen nicht verbieten, in diesen Ort zu fahren“, erklärte der Polizist. „Ich rate Ihnen aber dringend, es nicht zu tun.“
„Was ist passiert?“, fragte Anna.
„Das kann ich Ihnen nur schwer begreiflich machen. Wenn Sie weiter fahren, begeben Sie sich aber womöglich in Lebensgefahr.“
„Die Toten sind also unterwegs“, schoss Bianca einen Versuchsballon ab und traf, wie sie an dem Gesichtsausdruck des Polizisten erkennen konnte, voll ins Schwarze.
„Woher wissen Sie ...?“, erkundigte sich der Polizist verdutzt.
„Sagen wir mal so“, erklärte Bianca. „Wir sind die, die als Erste über lebende Leichen gestolpert sind. Gewissermaßen sind wir die Experten.“
„Das dürfte unseren Einsatzleiter interessieren“, gab der Polizist zu bedenken.
„Dann soll er in meine Pension kommen“, sagte Anna und nannte die Adresse.
Der Polizist notierte die Informationen und bedankte sich.
„Seien Sie bloß vorsichtig“, mahnte er zum Abschied nochmals.
„Keine Angst“, sagte Bianca. „Solange Sie die in Ruhe lassen, tun die Ihnen auch nichts.“
„Zumindest bisher“, murmelte Anna, während sie die Scheibe wieder hochfahren ließ.
Sie gab Gas und manövrierte ihren Daimler an der Polizeistreife vorbei. Beide hatten üble Vorahnungen, als sie auf die Ortsmitte zufuhren.
Mit einem Mal trat Anna dermaßen heftig auf die Bremse, dass Bianca erneut nur von dem Automaticgurt schmerzhaft daran gehindert wurde, ins Armaturenbrett zu beißen.
„Sag mal, was ist denn jetzt mit dir los?“, empörte sich Bianca.
Anna deutete nach links aus dem Fenster. Bianca sah zwischen zwei Häusern den Hexenhügel mit der Brandruine der Kirche.
In kleinen Fragmenten konnte sie auch ein Stück vom Zuweg erkennen und sie sah, dass sich da etwas bewegte.
Was es genau war, konnte sie nicht erkennen, da Anna bereits den Wagen hektisch in eine schmale Seitenstraße rangierte und durch diese in viel zu hohem Tempo fuhr.
Am Ende dieser Straße war die Strecke auch Bianca wieder bekannt. Es handelte sich um die Straße, die direkt zum Parkplatz am Fuße des Hexenhügels führte.
Anna raste darauf zu und brachte den Mercedes mit einer Vollbremsung mitten auf dem Parkplatz zum Stehen. Beide Frauen stiegen aus und was sie sahen, jagte ihnen eine Gänsehaut nach der anderen über den Rücken.
Die Zombies waren allesamt auf dem Weg nach oben zu dem Friedhof. Langsam und mit ungelenken Schritten wankte die Prozession den steilen Weg hinauf. Mit angehaltenem Atem und wortlos verfolgten sie diesen unheimlichen Todesreigen eine Weile, ehe Anna als Erste das Wort ergriff.
„Warum laufen die denn nur so komisch?“, flüsterte sie.
„Rigor Mortis“, sagte Bianca nur.
„Was?“
„Totenstarre.“
21.
„Ich habe mal gezählt, als die diesen Hügel hinaufgekraxelt sind“, berichtete Dr. Kovacs. „Wir haben es im Augenblick mit einundsechzig Toten zu tun, die hier in diesem Ort umherwandern. Ich würde auf meine Statistik natürlich keinen Eid leisten.“
Sie saßen wieder im Gastraum von Annas Pension. Anna hatte zwar geöffnet, aber erwartungsgemäß kamen an dem heutigen Abend keine Gäste mehr. Zu sehr hatte die Sache mit den lebenden Leichen das Leben in diesem Ort durcheinander gebracht.
Nachdem Bianca und Anna eine ganze Weile die makabre Prozession der Untoten beobachtet hatten, waren auch Dr. Kovacs und Klaus zu ihnen gestoßen. Nach einer Weile hatten sie beschlossen, zurück zu Annas Pension zu gehen.
Sie saßen alle am Tisch, jeder hatte etwas zu trinken, aber nach etwas Essbarem hatte niemand wirklich Appetit.
Sie waren in ihren düsteren Gedanken versunken, als die Tür zum Gastraum aufging und ein Mann namens Eichhorn eintrat, der sich als Einsatzleiter der Polizei, die sich vor Ort befand, vorstellte.
Nach Biancas bisherigen Erfahrungen mit der Polizei entpuppte sich Eichhorn als angenehme Überraschung. Nach dem raubeinigen Kommissar Kellermann und dem widerlichen Frettchen Holzacher war Eichhorn ein äußerst warmherziger und sympathischer Zeitgenosse, der auch trotz der seltsamen Situation, in der er koordinieren
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