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Der Sommer der Toten

Titel: Der Sommer der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Derbort
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gestalten.“
    „Auch das ist mir aufgefallen. Die Portionen beim Essen wurden immer üppiger. Oft genug bekam ich auch noch mehr, als ich bestellt habe. Ich hatte halt gedacht, hier hätte sich dein schlechtes Gewissen vom Vorjahr breit gemacht.“
    „Zum Teil“, gab Anna zu. „Aber ich musste erst mal lernen, dich nicht als Bedrohung zu sehen, sondern vielleicht auch als Rettung.“
    „Also gut“, sagte Bianca. „Ich spreche dich von den Sünden deiner Vorfahren frei. Darf ich jetzt wieder nach Hause fahren?“
    „Netter Versuch“, sagte Anna belustigt. „Aber ich fürchte, so einfach geht das nicht.“
    „Dein Vorschlag?“, fragte Bianca.
    „Der wird dir nicht gefallen.“
    „Versuche es.“
    „Schicksal.“
    „Du hast Recht. Das gefällt mir wirklich nicht. Da fehlen mir noch ein paar Antworten.“
    „Dann gebe ich dir mal Stoff zum meditieren“, sagte Anna, während sie den restlichen Wein aus der Flasche auf die beiden Gläser verteilte. „Schauen wir uns unsere Lebenswege an. Mein Vater starb, als ich ein Jahr alt war. Und er starb auf eine ziemlich grausame Weise. Das Bild werde ich wohl nie mehr aus meinem Kopf bekommen. Als ich anfing, mein eigenes Leben auf die Beine zu stellen, ist meine Mutter gestorben und ich hatte die Pension. In den ersten Jahren habe ich mich immer wieder gefragt, warum ich mich überhaupt darauf eingelassen habe. Ich habe diesen Laden seit jeher gehasst. Ich habe diese merkwürdigen Erscheinungen an meinen Händen. Daran wäre ich letztes Jahr fast verreckt. Kommen wir zu dir. Warum interessierst du dich so sehr für Kampfsport?“
    „Keine Ahnung.“ Bianca zuckte mit den Schultern. „Komm mir jetzt nur nicht mit irgend so einer Martial-Arts-Kacke. Es wird keinen spektakulären Showdown à la Mortal Combat auf dem Friedhof geben.“
    „Muss es ja auch nicht“, widersprach Anna. „Aber der Wanderer war ein Söldner. Ein Kämpfer. Es ist schon erstaunlich, wie lange sich solche Gene halten können. Ich würde auch sagen, du bist ziemlich aufmüpfig.“
    „Hä?“
    „Das ist keine Kritik. Aber deine Wortwahl und dein Auftreten sind halt nicht immer sehr damenhaft. Das ist mir ganz recht so. Ich lege meine Worte auch nicht gerne auf die Goldwaage. Der Wanderer lehnte sich ja seinerzeit gegen die ganze Obrigkeit hier in Berghausen auf. Er hätte auch seine Siebensachen packen und weiterziehen können. Das wäre für ihn in jedem Fall gesünder gewesen. Stattdessen schlug er Vater Inquisitor den Schädel ein. Oh, ich liebe diesen Mann.“
    „Das ist ziemlich dünn“, gab Bianca zu bedenken.
    „Dann zu der Wahl deines Urlaubsortes: warum hier?“
    „Ich fühle mich hier wohl“, sagte Bianca.
    „So ganz wie zu Hause, wie?“
    „Ja, so ähnlich“, sagte Bianca. Dann fiel ihr der Doppelsinn dieser Worte auf. „He! Das wollte ich damit nicht sagen.“
    „Okay, lassen wir das. Wie war das mit dem Wohnmobil?“
    „Wie?“
    „Du sagtest, am liebsten würdest du dir ein Wohnmobil kaufen und damit unabhängig durch die Gegend ziehen.“
    „Ja, das stimmt.“
    „Zu dumm, dass es so etwas damals noch nicht gab. Wenn der Wanderer so ein Ding gehabt hätte, wäre meine Argumentationskette wasserdichter.“
    „Du sprichst in Rätseln, Schwester.“
    „Der Wanderer zog durch die Gegend und fühlte sich niemals sesshaft. Auch dich zieht es quer durch die Welt. Zufall?“
    „Wir sind hier nicht bei X-Factor .“ Bianca klang ungeduldig.
    „Und dann die merkwürdige Geschichte, wie du zu mir gefunden hast. Ich traue mich zwar nicht so ganz, das zu erwähnen, aber wieso ist der Arzt, der mir helfen sollte, ausgerechnet heute tödlich verunglückt? Ach ja: Wieso bist du gestern ohne zu zögern mit mir auf den Friedhof gegangen?“
    „Das Essen war für lau und ich war neugierig.“
    „Als du die Leichen gesehen hast – was ist dir da durch den Kopf geschossen?“
    „Nur, dass ich gerne mal herausfinden würde, warum die noch so frisch aussehen.“
    „Du stehst mit der Kirche auf Kriegsfuß. Ebenfalls richtig?“
    „Genau. Ich glaube auch nicht an Dinge, die man nicht im Labor analysieren kann. Dachte ich jedenfalls.“
    „Aha – sind dir also auch Zweifel gekommen, wie?“
    „Worauf willst du hinaus?“
    „Ich bin auch kein Esoterik-Fan“, sagte Anna ernst. „Aber ich musste mich seit meiner Pubertät mit Sachen abfinden, die kein Arzt und auch sonst niemand erklären konnte. Irgendwann fängt man einfach an, Kompromisse zu machen. Auch du bist schon

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