Der Sommer der Toten
etwas vorsichtiger geworden.“
„Willst du mir etwa sagen, dass ich so was wie die Auserwählte bin?“
„Nein. Ich würde eher sagen, wir beide sind die Opfer unserer Ahnen. Du bist der Fluch, ich bin die Verfluchte. So einfach ist das.“
„Ich bin mir nicht sicher, ob ich mit dieser Rolle einverstanden bin ...“, sagte Bianca hilflos.
„Ich weiß, dass ich mit meiner Rolle nicht einverstanden bin“, gab Anna ernst zurück. „Aber ich weiß auch, dass du nicht gegen mich bist. Das gibt mir Hoffnung.“
„Aber was kann ich tun?“
„Das weiß niemand. Ich glaube, da müssen wir noch ein wenig nachforschen. Ich bin nur froh, wenn ich die Sache überlebe und wenn ich endlich wieder ins 21. Jahrhundert zurückkehren kann.“
„Willkommen im Club“, stöhnte Bianca.
„Ich möchte dich auch wegen des Restes auf dem Laufenden halten“, fuhr Anna fort. „Der Pfarrer, Werner und der Bürgermeister kennen deine Rolle in dieser Geschichte. Sonst niemand. Du entscheidest, wem du davon erzählst. Niemand wird dich in irgendeiner Form einschränken. Den Bürgermeister lernst du morgen kennen. Erwarte nicht allzu viel Freundlichkeit von ihm. Er macht dich wegen dieser Sache indirekt verantwortlich. Ich weiß, dass das Blödsinn ist, aber der Kerl ist ein alteingesessener Knochenkopf. Es ist leichter, mit einer Parkuhr zu reden. Aber wenn es sein muss, wird er uns helfen. Und das zählt.“
Bevor Bianca noch etwas sagen konnte, ging die Tür zum Gastraum auf und ein etwa dreißigjähriger Mann trat ein.
Bianca stand auf.
„Klaus!“, rief sie erfreut.
Klaus bemerkte sie sofort und eilte auf sie zu.
„Hallo!“, rief er.
Beide nahmen sich kurz freundschaftlich in die Arme und dann bot Bianca ihm mit einem kurzen Wink einen Sitzplatz an.
„Darf ich vorstellen?“, fragte Bianca, während sie auf Anna deutete. „Das ist Anna, unsere Wirtin.“
„Hallo“, grüßte Anna freundlich, während sie aufstand. „Herzlich willkommen im schönen Berghausen.“
„Danke“, sagte Klaus und blickte grinsend auf die Uhr. „Nur damit ich weiß, bis wann ich den Wagen einparken kann: Wann werden denn hier die Bürgersteige hochgeklappt?“
Anna lachte herzlich.
„Keine Sorge. So weit ist es hier noch nicht“, sagte sie belustigt. „Ich bringe erst mal die Speisekarte. Ich nehme an, ein netter Imbiss wäre jetzt genau das Richtige.“
„Das wäre geradezu göttlich“, schwärmte Klaus. „Meine einzige Nahrungsgrundlage ist ein sauteures belegtes Brötchen von einem Autobahnrasthof zwischen Fürth und München.“
„Ich kann das Jägerschnitzel empfehlen“, sagte Bianca grinsend.
„Genauso etwas schwebt mir vor“, erklärte Klaus. „Lassen wir das mit der Speisekarte und ich nehme einfach ein Jägerschnitzel.“
„Kommt sofort“, erwiderte Anna grinsend und schickte sich an, in die Küche zu gehen. „In der Zwischenzeit könnt ihr ja noch ein wenig herumturteln.“
Sie verschwand und Klaus wurde schlagartig ernst.
„Ich habe mir eine Menge Ärger an Land gezogen“, sagte er zu Bianca. „Ich hoffe, du hast einen guten Grund dafür.“
„Den habe ich“, erwiderte Bianca. „Hast du die Sachen dabei?“
„Mehr“, erklärte Klaus. „Ich habe mir den Mund fusselig geredet und schließlich den Laborcontainer bekommen.“
„Du bist ein Schatz!“, rief Bianca erfreut. „Der ist natürlich genial.“
„Die meisten sind im Urlaub und das Ding wird in den nächsten zwei Wochen nicht gebraucht. Ich musste hoch und heilig versprechen, die Karre ohne einen Kratzer zurückzubringen und am besten noch sensationelle Ergebnisse zu liefern.“
„Das kannst du haben“, sagte Bianca.
„Was hast du denn so Spannendes?“
„Leichen“, antwortete Bianca kühl.
Klaus starrte sie zunächst mit offenem Mund an.
„Wie bitte?“, fragte er entgeistert.
„Leichen“, wiederholte Bianca. „Genaugenommen dreißig Jahre alte Leichen.“
„Und da ist etwas Spektakuläres, das ich von den Knochen abkratzen soll?“ Klaus klang plötzlich alles andere als begeistert.
„Wenn du an die Knochen rankommst, kannst du das ja mal probieren.“
„Schön langsam.“ Klaus atmete tief durch. „Kannst du mir mal genau sagen, was hier los ist?“
„Hier werden nach etwa dreißig Jahren die Toten wieder ausgegraben, damit die Gräber frei für die neuen Toten sind. Die Knochen werden in einem Beinhaus gelagert.“
„Aha, und was ist mit den Knochen?“
„Um die Knochen geht es nicht“,
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