Der Sommer der Toten
Augen.
„Auch ich will das nicht. Hör mit dem Töten auf!“, sagte Bianca im Befehlston.
Nun trat auch Kellermann vor und ließ ein paar Handschellen vor Werners toten Augen baumeln.
„Dann nennen Sie mir einen guten Grund, dass ich Sie nicht auf der Stelle festnehme“, grollte er drohend.
Werner griff, ohne direkt hinzusehen, nach den Handschellen und nahm sie an sich, bevor Kommissar Kellermann überhaupt reagieren konnte.
Er nahm die eine Schelle in eine, die andere Schelle in die andere Hand und riss die stählerne Verbindungskette ohne erkennbare Mühe auseinander.
Kellermann riss die Augen auf.
„Was ... was war das?“, fragte er in einer Mischung aus Verblüffung und Entsetzen.
„Der gute Grund, den Sie haben wollten“, bemerkte Anna lakonisch.
„Auch Drohung genannt“, ergänzte Bianca und betastete unwillkürlich ihre ramponierte Rippe.
„Danke die Damen“, erwiderte Kellermann giftig. „Ohne Ihre Hilfe wäre ich jetzt echt aufgeschmissen gewesen.“
„Bitte, bitte, gerne geschehen“, antwortete Bianca grinsend.
Danach wurden alle wieder schlagartig ernst. Dumme Witze halfen nicht dabei, weitere Tote zu verhindern.
Außerdem, so fiel Bianca auf, musste der Tod des Pfarrers noch irgendwie bekannt gemacht werden. Sie brachte den Punkt zur Sprache.
„Verdammt“, murmelte Anna. „Daran mag ich gar nicht denken. Eigentlich habe ich Pfarrer Schuster irgendwie gemocht. Auch wenn mir die Kirche bisher nie sonderlich viel bedeutet hatte.“
„Ich auch“, sagte Bianca düster und blickte Werner kopfschüttelnd an. „Was hast du dir nur dabei gedacht?“
Werner ging einen Schritt vor und legte erneut kurz seine Hand auf das Buch.
„Das Buch“, murmelte Bianca gedankenverloren. „Ja, ja ...“
Plötzlich hob Werner die Hand. Bianca machte erschrocken einen Schritt zurück.
Doch Werner wollte ihr nichts tun. Er deutete mit ausgestrecktem Finger hinter sie. Dabei stieß er ein lautes irgendwie hohl klingendes dunkles Heulen aus, das Bianca durch Mark und Bein fuhr. Alle drei drehten sich nahezu synchron um und blickten in die Richtung, in die Werner deutete.
Allen dreien stockte der Atem.
Auf dem Boden saß Pfarrer Schuster und versuchte sich aufzurichten, was im Moment allerdings noch nicht ganz klappen wollte.
Werner torkelte wieder zur Tür und blieb dort stehen, als erwarte er, weitere Fragen gestellt zu bekommen.
Bianca tat ihm den Gefallen.
„Ist er gefährlich für uns?“, fragte sie.
Ja.
„Wird er uns töten, wenn wir nichts unternehmen?“
Ja.
„Können wir ihn unschädlich machen?“
Ja.
Bianca überlegte fieberhaft. Dann kam der Geistesblitz.
„Klaus hat erzählt, dass du Annas Vater dadurch erlöst hast, indem du ihn enthauptet hast. Ist das eine Möglichkeit?“
Nein.
„Verdammt!“, fluchte Bianca. „Aber bei Annas Vater hat es geklappt.“
Ja.
„Da gibt es Unterschiede?“, fragte Anna verblüfft.
Ja.
„Oh Mann!“, stöhnte Bianca. „Und welche?“
„Gute Zombies kann man töten, indem man sie enthauptet, bei den Bösen muss man kreativer werden“, bemerkte Kellermann ironisch.
Ja.
Kellermann riss die Augen auf.
„Ja?“, fragte er verblüfft. „Oder ist der nur versehentlich gegen die Tür gekommen?“
Nein.
„Okay, das reicht!“, sagte Bianca entschlossen und hob demonstrativ das Buch an. „Wir werden jetzt eine kleine Lesestunde veranstalten. Werner, kannst du den Pfaffenzombie in Schach halten?“
Ja.
„Also los!“
13.
„Sie haben noch mal Glück gehabt“, sagte der Arzt.
„Was nennen Sie Glück?“, fragte Klaus stöhnend, als er sich auf der Untersuchungsliege aufrichtete. „Mir tut jeder Knochen einzeln weh.“
„Aber nur am Anfang“, erwiderte der Arzt grinsend. „Die ersten zwei, vielleicht drei Tage, wenn Sie zu den empfindlichen Zeitgenossen gehören.“
„Also dann fünf“, brummte Klaus.
Der Arzt lachte auf. Laut Namensschild hieß er Dr. Kovacz. Er schien als Assistenzarzt in der Klinik zu arbeiten. Er war noch relativ jung. Klaus schätzte ihn in etwa auf sein Alter – Anfang dreißig.
Der junge Mediziner wirkte auf ihn auf Anhieb sympathisch. Er untersuchte ihn gründlich und sorgfältig, konnte aber während dieser Zeit nicht aufhören, irgendwelche lustige Geschichten zu erzählen.
„Die Kollegen in den USA hatten mal einen besonders haarigen Fall“, erzählte er, während er seinen Bericht schrieb und Klaus sich langsam vom Untersuchungstisch quälte. „Die hatten eines Tages
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