Der Sommer der Toten
sich erfreulicherweise Biancas Handynummer geben lassen und immerhin konnte er ihr eine SMS schicken. Dann musste er halt hoffen, dass es sich Bianca nicht bis fünf Uhr in der Disco gut gehen ließ und wenigstens heute Abend noch mal auf ihr Handy blickte.
Er tippte die SMS ein und bemühte sich, so präzise wie möglich zu schildern, wo er sich gerade befand. Nachdem er fertig war, überflog er noch mal kurz den Text und kämpfte sich erneut den Geröllberg hoch.
Zu allem Überfluss gab sein Handy just in diesem Augenblick ein Warnsignal aus und teilte mit, dass der Akku schwach sei.
Kellermann fluchte erneut und reckte das Telefon in die Höhe. Dabei betätigte er immer wieder eine Taste, die an dem Text nichts mehr veränderte, aber dafür Sorge trug, dass die Displaybeleuchtung eingeschaltet blieb. Nur so konnte er erkennen, ob er das Signal hatte, das er brauchte, um seine Nachricht zu versenden.
Allerdings ließ der Empfang diesmal auf sich warten. Stattdessen beschwerte sich das Handy erneut über den schwachen Akku. Kellermann wusste, dass sich das Telefon gleich automatisch ausschalten würde. Wenn es das tat, bevor er die Nachricht abgeschickt hatte, war es das gewesen.
Endlich tauchte der erste Balken der Empfangsanzeige auf. Kellermann atmete erleichtert auf, fluchte aber erneut, als dieser Balken nur wenige Sekunden später wieder verschwand.
Er kämpfte sich noch mal ein, zwei Meter den Schutt hinauf und musste sich anschließend auch mit dem gebrochenen Fuß abstützen, damit er nicht wieder herunterrutschte. Die Schmerzen waren fürchterlich. Kellermann schossen die Tränen in die Augen, und zwischen seinen zusammengebissenen Zähnen gab er einen unterdrückten Schmerzensschrei von sich, der sich anhörte wie das wütende Knurren eines Dobermanns.
Endlich tauchte das Logo des Mobilfunkbetreibers auf und der Empfang war zwar sehr schwach, aber stabil.
Allerdings tauchte auch wieder die Warnung auf, dass der Akku nicht mehr lange mitmachen würde. Kellermann drückte auf die „Senden“-Taste und beobachtete verzweifelt, wie drei animierte Zahnrädchen im Display andeuteten, dass das Gerät mit dem Versenden der SMS beschäftigt war.
Dieser Vorgang schien endlos zu dauern. Kellermann wusste aus Erfahrung, dass es bei einem so schwachen Signal durchaus passieren konnte, dass er mehrere Anläufe benötigte, um eine SMS abzusetzen. Das Problem war, dass er nur diesen einen, bestenfalls zwei Versuche hatte, bevor der Akku des Handys endgültig in die Knie ging.
„Bitte!“, presste er verzweifelt zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Auch der Schmerz in seinem Knöchel wurde schier unerträglich.
Endlich kündigte das Handy mit einem kurzen Piepen an, dass die SMS erfolgreich versandt wurde, und eine Sekunde später schaltete sich das Gerät mit einem letzten Signalton endgültig aus.
Leise stöhnend ließ sich Kellermann den Schuttberg wieder hinunterrutschen und wartete schweißgebadet darauf, dass der mörderische Schmerz in seinem Knöchel wenigstens etwas nachließ.
Er ließ seine Taschenlampe vorerst ausgeschaltet, um die Batterien zu schonen. Während er wartete, dass der pochende Schmerz etwas abebbte, lauschte er in die Dunkelheit.
Irgendwo weiter vorne im Gang schien Wasser zu tropfen. Das konnte aus einer undichten Leitung stammen, konnte aber auch noch Löschwasser sein, das sich seinen Weg durch die Trümmer der abgebrannten Gebäude nach unten bahnte.
Hinter sich hörte er das leise raschelnde Poltern, wenn kleinere Geröllteile nach unten rutschen. Ansonsten war es geradezu gespenstisch still.
Mit wenig Hoffnung leuchtete Kellermann noch mal den in den Keller gefallenen Schutt ab. Aber seine Situation blieb die gleiche. Wenn nicht jemand von oben grub, konnte er sich von seiner Position aus nur schwer befreien. Selbst wenn er nicht den Knöchel verletzt hätte.
Er schaltete die Taschenlampe wieder aus, nach wenigen Augenblicken aber wieder an, als er glaubte, Schritte zu hören.
Der Gang war allerdings nach wie vor leer.
„Hallo?“, rief Kellermann in den Gang hinein. Er bekam aber keine Antwort.
Kellermann fragte sich, ob ihm seine Fantasie bereits jetzt Streiche spielte. Naheliegend wäre es. Wer außer ihm sollte um diese Zeit in einem Keller eines abgebrannten Hauses herumturnen?
„Hallo!“, rief er dennoch erneut. „Falls hier jemand ist: Ich bin hier am Eingang und ich bin verletzt. Ich brauche Hilfe.“
Wieder keine Antwort. Kellermann lauschte
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