Der Sommer der Toten
mehr so weh wie nach dem Crash.
Klaus sah sich um. Anna hatte zurzeit keine Feriengäste mehr. Nach ihren Aussagen hatte sie jetzt erst einmal zwei Wochen Ruhe, ehe die nächste Reisegruppe anrücken sollte.
Somit war außer ihnen der Gastraum leer. Hinter der Theke machte sich wieder Annas Aushilfe zu schaffen. Das war für Klaus ein Zeichen dafür, dass Anna nicht damit rechnete, viel Zeit zu haben, um sich um die Gaststätte zu kümmern.
Alles in allem handelte es sich um das normale geschäftige Treiben, wie an jedem Morgen.
„Was spukt dir im Hirn herum?“, fragte Bianca plötzlich.
Klaus schüttelte unwillig den Kopf.
„Ich weiß es selbst nicht“, gestand er und blickte sie sofort wieder besorgt an. „Wie geht es dir?“
„Mir geht es eigentlich wieder gut – wenn man das so nennen kann“, sagte Bianca und lachte leise. „Wenn ich jetzt jede Nacht so einen Albtraum habe, dann wird das allerdings nicht mehr lange so anhalten.“
„Willst du mir den Traum erzählen?“, fragte Klaus.
Bianca schüttelte den Kopf.
„Das musst du dir nicht antun“, erklärte sie. „Es geht auch weniger darum, was in diesem Traum passiert ist, sondern eher, wie realistisch alles war. Und das Komische daran ist, dass mir dieser Traum eine Art Fortsetzungsgeschichte erzählt.“
„Bist du bereits zu dem Kapitel gekommen, wo die Frau als Hexe verbrannt werden soll?“, fragte Anna plötzlich von hinten.
Bianca drehte sich wie angestochen herum und starrte Anna mit abgrundtiefem Entsetzen an.
„Entschuldige“, sagte Anna sanft. „Ich habe das Gespräch eher durch Zufall mitbekommen. Ich wollte dich nicht belauschen.“
„Das ... das geht schon in Ordnung“, erwiderte Bianca fahrig. „Aber was hast du da gerade gesagt?“
„Du hast von einer Frau geträumt“, entgegnete Anna. Es war keine Frage. Anna hatte eine Feststellung formuliert.
Bianca nickte stumm.
„Diese Frau wurde gefangen, gefoltert und sollte als Hexe verbrannt werden.“
Bianca nickte erneut.
„Doch das mit der Hinrichtung hat nicht so ganz geklappt, richtig? Es kam ein Wolkenbruch, und außer zwei verkohlten Beinen war nix gewesen.“
Bianca nickte nicht mehr. Sie starrte Anna nur noch an. Sie brauchte auch nichts mehr zu tun, um Anna zu signalisieren, dass Anna Recht hatte. Anna wusste es bereits.
„Sie lebte noch zwei Tage, ehe ein Bauer ihr den Gnadentod gewährte und ihr den Kopf abschlug.“
Bianca liefen Tränen aus den Augen. Sie blieb stumm.
„Komm mal mit“, sagte Anna sanft.
Bianca stand auf und folgte Anna wie hypnotisiert. Sie war wie betäubt.
Klaus’ Gesichtsausdruck, der irgendwo zwischen Überraschung und Schrecken lag, nahm niemand zur Kenntnis.
Anna führte sie durch den Gastraum durch eine Hintertür, auf der „Privat“ stand.
Bianca folgte ihr die Treppe hinauf direkt in Annas Wohnung.
Wenn man das Haus von außen betrachtete, würde man vermuten, die Zimmer seien mit rustikalen Bauernmöbeln vollgestopft. Doch nichts davon war der Fall: Alles war hochmodern eingerichtet und die Möbel setzten vor allem mit Glas, Chrom und schwarzem Leder Akzente.
„Das ist meine Wohnung“, erklärte Anna. „Und du wärst auch nicht die Erste, die mir jetzt sagen würde, dass ich bei dem Anblick hier eher als unromantischer Kühlschrank durchgehen würde. Richtig?“
Bianca sagte gar nichts dazu. Anna brauchte auch nicht weiter nachzuhaken. Biancas abgrundtiefe Verwirrung stand ihr im Gesicht geschrieben und bedurfte keiner weiteren Kommentierung. Annas Bemühungen, vom eigentlichen Thema abzulenken, würden wenig Früchte tragen.
„Setz dich besser“, sagte Anna und deutete auf das schwarze Ledersofa.
Bianca kam ihrer Aufforderung nach und blickte sie dabei aus großen Augen an.
„Ich hatte den gleichen Traum“, begann Anna ohne Umschweife. „Ich weiß also jetzt, wie du dich fühlst. Die gute Nachricht: Nach der missglückten Verbrennung war bei mir Schluss mit diesen Albträumen.“
„Na großartig“, versetzte Bianca säuerlich. Ihre Stimme klang belegt.
„Ich bin damals auf den Friedhof gegangen und habe nach der Stelle gesucht, wo in meinem Traum der Kopf hingerollt ist“, berichtete Anna. „Ich weiß nicht, warum ich das getan habe – vielleicht Intuition. Aber tatsächlich: Ich fand eine Felsformation vor, die der in meinen Träumen frappierend ähnlich sah. Ich begann in dem Hohlraum herumzustochern und wurde fündig.“
„Fündig?“
Anna sagte nichts, sondern stand auf, ging zu
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