Der Sommer der Toten
entfernten Donnergrollen an und dann schlug ein Wolkenbruch mit solch unerbittlicher Wucht zu, dass alle Anwesenden, Zuschauer wie Henker, Inquisitoren wie Folterknechte ihr Heil in der Flucht suchten, um dennoch bis auf die Haut durchnässt erst unten im Dorf ein trockenes Plätzchen zu finden.
Der Wolkenbruch löschte das Feuer des Scheiterhaufens und sie hing hilflos in ihren Fesseln. Halb verbrannt und doch noch lebendig. Halb wahnsinnig und doch zu klar im Kopf, um die barbarischen Schmerzen in voller Wucht zu spüren. Zu zerstört, um auch nur die Chance eine Hoffnung zu haben, von diesen Torturen zu genesen, aber zu lebendig, um auf einen raschen gnadenvollen Tod zu hoffen.
Stunden unvorstellbarer Qualen während des Wolkenbruches und auch während des folgenden Tages. Vielleicht hatte man sie vergessen oder vielleicht ging man davon aus, dass sie bereits tot sei. Oder aber – und das kam der Wahrheit am nächsten – man glaubte, sie habe dieses Unwetter heraufbeschworen, und traute sich aus Angst vor weiteren und weitaus gefährlicheren bösen Zaubern nicht mehr in ihre Nähe.
Sie sollte fast zwei Tage lang halb verbrannt und vor Qualen wie von Sinnen am Pfahl des Scheiterhaufens hängen, ehe sich ein Bauer ein Herz fasste, um nach ihr zu sehen.
Er sah, welche Pein sie erdulden musste, und entschloss sich, ihr den Gnadentod zu gewähren.
Er eilte auf seinen Hof und schärfte seine Sense, so gut er es noch nie getan hatte. Damit und mit einem Messer in den Händen eilte er zurück zum Hexenhügel, schnitt die Frau vom Pfahl ab.
Er hob die Sense und eines ihrer wirklich letzten Worte war ein geröcheltes „Danke“.
Doch das war noch nicht alles.
SIE BLICKTE BIANCA AN UND SAGTE: „FÜR EURE TATEN WERDET IHR AB SOFORT ZUR RECHENSCHAFT GEZOGEN WERDEN!“
Die Sense sauste herab und ihr Kopf rollte wie ein alter Ball über den Hexenhügel, um unter einem Hohlraum zwischen Felsbocken zu verschwinden. Aus ihrem Hals schoss eine Blutfontäne.
Klaus schoss wie von einem Katapult abgeschossen aus dem Bett, als Bianca neben ihm mit hysterischem Kreischen erwachte, ebenfalls aus dem Bett sprang, ins Bad rannte, vor der Toilettenschüssel auf die Knie fiel und sich dermaßen heftig übergab, dass das meiste von dem ersten Schwall des Erbrochenen durch den ganzen Raum spritzte, anstatt in der Toilette zu landen.
Kapitel 5
Die Toten kommen
1.
Der neue Tag begann vollkommen anders.
Bianca hatte seit ihrem letzten Albtraum vorläufig einiges ihrer Souveränität eingebüßt. Es war Dr. Kovacz, der sich gerade um sie kümmerte. Bianca saß leicht zitternd am Tisch und ließ es sich gefallen, als Dr. Kovacz ihr eine Spritze verabreichte.
„Nur ein Tranquilizer mit einer leichten Depotwirkung“, erklärte er, als er die Spritze aus ihrem Oberarm zog und einen Tupfer auf die Einstichstelle drückte. „Sie werden einigermaßen fit bleiben – nur auf Auto fahren würde ich an Ihrer Stelle in den nächsten Stunden verzichten.“
Bianca nickte nur.
Klaus hatte sich von seinem Schreck längst erholt. Nur leichte Besorgnis konnte man aus seinem Gesichtsausdruck lesen.
Anna wirkte auch bedrückter als in den letzten Tagen. Genau vermochte niemand zu sagen, was mit ihr war. Eigentlich war sie genauso wie sonst auch immer: Freundlich, ständig ein wenig verschmitzt und sie strahlte wie immer gute Laune aus. Aber irgendwie war es ... anders .
Klaus zerbrach sich während des ganzen Frühstücks den Kopf darüber. Biancas Zustand konnte er ja noch nachvollziehen. Sie hatte einen wirklich üblen Albtraum gehabt und das hatte ihr erst einmal die Petersilie verhagelt.
Dass auch Dr. Kovacz deutlich erkennbar unter den Eindrücken der letzten Nacht stand, konnte er ebenfalls gut nachvollziehen. Aber er hatte sich zwischenzeitlich recht gut erholt.
Kellermann fehlte auch irgendwie in dieser Truppe, auch wenn er den raubeinigen Kerl nie so richtig gemocht hatte. Immerhin war Kellermann nicht tot, aber es würde, wenn man den Aussagen von Dr. Kovacz glaubte, an ein Wunder grenzen, wenn diese Verletzungen ohne weitere Folgen ausheilen würden.
Kovacz prophezeite Kellermann erst einmal mindestens sechs Monate Krankenhaus und anschließende Reha-Maßnahmen und danach die vorzeitige Pensionierung.
Er selbst fühlte sich recht gut – abgesehen davon, dass er noch ein paar Stündchen mehr Schlaf hätte gebrauchen können. Aber die Verletzungen von dem Unfall mit dem Unimog heilten recht gut aus und taten bei Weitem nicht
Weitere Kostenlose Bücher