Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Sommer der toten Puppen

Der Sommer der toten Puppen

Titel: Der Sommer der toten Puppen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonio Hill
Vom Netzwerk:
beim Aufstehen hilft. Er stützt sich auf Rubén, dem das alles nahezugehen scheint.
    »Tut mir leid, echt«, flüstert der ihm ins Ohr. Und Aleix merkt, dass er es auch meint. Dass Rubén um ihn besorgt ist, auch wenn er ihn in die Falle gelockt hat.
    »Bring ihn zu Mami und Papi«, sagt die Glatze. »Er weiß, was er zu tun hat.«
    Rubén nimmt ihn bei den Schultern und führt ihn zur Tür. Beim Hinausgehen muss Aleix stehenbleiben; ihm drehensich die Eingeweide um, die Augen tränen. Und schlimmer noch, ihn packt die Angst, weil er nicht weiß, wie er aus der Sache herauskommen soll.
    Leire stand in der Küche, trank langsam ihr Glas Wasser und dachte darüber nach, wie sie es angehen sollte. Gina sah ihr mit ausdrucksloser Miene zu. Aber dahinter verbarg sich etwas, das sagten die bitteren Tränen von vorhin, sagte dieser apathische Blick.
    »Hast du irgendein Foto von Marc?«, fragte sie in kumpelhaftem Ton. »Würde gerne sehen, wie er war.« Es war ein Schuss ins Blaue, aber er traf ins Schwarze. Ginas Spannung löste sich.
    »Ja, habe ich, in meinem Zimmer.«
    Sie gingen hinauf, und nachdem Gina die Tür geschlossen hatte, setzte sie sich an den Rechner und gab rasch etwas ein.
    »Auf Facebook habe ich viele«, sagte sie. »Aber die hier sind von der Johannisnacht. Mir war gar nicht mehr bewusst, dass ich sie gemacht hatte.«
    Es waren Schnappschüsse. Pizza, Gläser, der traditionelle Pinienkuchen. Auf ein paar Bildern war Aleix zu sehen, die meisten aber waren von Marc. Das Haar kurzgeschoren, ein marineblaues T-Shirt mit weißen Zahlen, abgewetzte Jeans. Ein normaler Junge, fast hübsch, wenngleich zu ernst für eine Party. Leire besah sich sowohl die Fotos als auch Ginas Gesicht, und wenn sie noch Zweifel hatte, dass das Mädchen verliebt gewesen war, dann verflüchtigten sie sich jetzt.
    »Du siehst entzückend aus.« Es war tatsächlich so. Ganz offensichtlich hatte sich das Mädchen für den Abend schöngemacht. Leire stellte sich vor, wie sie sich anzog, um ihm zu gefallen. Und dann hatte sie sich betrunken und im Badezimmer übergeben und war am Ende ganz allein. Die Fragesprang ihr förmlich von den Lippen: »Er hatte ein anderes Mädchen kennengelernt, nicht wahr? In Dublin vielleicht?«
    Gina verkrampfte sich sofort und schloss das Fenster auf dem Bildschirm. Die beste Antwort aber gab ihr Gesicht.
    »Warte.« Leire kam plötzlich ein Bild in den Sinn: Marc tot im Hof auf dem Boden, verkrustetes Blut am Hinterkopf, Jeans, Turnschuhe und ... ja, sie war sich sicher, mit einem hellgrünen Polohemd, nichts von einem blauen T-Shirt. »Hat er sich umgezogen?«
    Gina musste an Aleix’ Worte denken: »Wenn du nicht weißt, was du antworten sollst, sag einfach, du erinnerst dich nicht.« Sie tat verwirrt.
    »Warum fragen Sie?«
    »Als er gefunden wurde, hatte er nicht dasselbe an wie auf den Fotos.«
    »Nicht? Ehrlich gesagt, ich erinnere mich nicht.« Sie stand auf und ging zur Tür. Die Geste war eindeutig: Das Gespräch war beendet.
    Der alte Citroën hielt an derselben Ecke, wo er Aleix vor ein paar Stunden abgeholt hatte. Während der ganzen Fahrt hatten sie nicht gesprochen: Aleix, weil er kaum ein Wort herausbrachte; Rubén, weil er nichts zu sagen hatte.
    »Warte einen Moment«, stammelte Aleix.
    Rubén machte den Motor aus. Er schwieg weiter und zündete sich eine Zigarette an.
    »Die meinen es ernst«, sagte er, ohne Aleix anzusehen. »Diesmal geht es um viel Geld, Junge. Du musst es besorgen, egal wie.«
    »Meinst du, das weiß ich nicht? Scheiße, Rubén!«
    »Schaff die Kohle ran, Junge. Bitte deine Alten, deine Kumpel, deine kleine Freundin ... Die hat’s doch dicke, odernicht? Wenn ein Freund von mir viertausend Euro bräuchte, ich würde sie auftreiben, das schwör ich dir.«
    Aleix seufzte. Wie sollte er Rubén erklären, dass gerade die Leute mit dem meisten Geld es als Letzte herausrückten?
    Der Rauch zog durchs offene Fenster, nicht aber der Tabakgeruch. Aleix dachte schon, er müsse kotzen.
    »Alles in Ordnung mit dir?«
    »Ich weiß nicht.« Er hielt den Kopf hinaus, um frische Luft zu schnappen, bei der Schwüle ein vergebliches Unterfangen. Trotzdem atmete er tief ein.
    »Nur dass dir das klar ist«, Rubén hatte die Kippe auf die Straße geworfen, »Hier geht es auch um meinen Kopf. Wenn die Typen auf die Idee kommen, du hättest es dir unter den Nagel gerissen ... Du weißt schon, was ... Die spielen in einer anderen Liga, Junge. Ich hab’s dir gesagt.«
    Das stimmte. Die

Weitere Kostenlose Bücher