Der Sommer der toten Puppen
auch noch am Abend erhielt Aleix kurze Anrufe, nur wenige Sekunden. Weitere Nummern tauchten relativ häufig auf. Leire notierte sie und wollte später herausfinden, zu wem sie gehörten. Am Abend des 23. Juni hatte jemand mehrmals angerufen, zehn Mal, um genau zu sein. Aleix hatte keinen dieser Anrufe entgegengenommen, sich mit der Nummer aber am nächsten Tag in Verbindung gesetzt. Ein Gespräch von vier Minuten. Es war der einzige Anruf, den zu beantworten er sich die Mühe machte, nachdem er wiederum mehrere nicht entgegengenommen hatte. Sie zählte die Nummern, die mehrmals angerufen hatten. Es waren sechs, und nur auf die beiden ersten hatte Aleix geantwortet, auf sonst keine.
Sie versuchte, die Angaben weiter zu ordnen, während sie in Gedanken noch einmal die Geschichte durchging, die Gina und auch Aleix in ihren früheren Aussagen erzählt hatten. Eine Geschichte, die nicht ganz stimmen konnte. Warum hatten er und Marc Castells sich geprügelt? Eine ziemlich heftige Rauferei, sonst wären auf Marcs T-Shirt keine Blutflecken gewesen. Wer hatte an dem Abend ständig versucht, ihn zu erreichen? Das zumindest sollte einfach herauszufinden sein. Und tatsächlich, nach ein paar raschen Eingaben hatte sie den Namen des Benutzers: Rubén Ramos García. Sie seufzte. Der Name sagte ihr nichts. Dann gab sie die Nummer ein, die auf der Liste am häufigsten auftauchte. Dieser Name sagte ihr allerdings etwas, sehr viel sogar. Regina Ballester. Die Mutter von Gina Martí ... Am Montag würden sie Aleix einiges zu fragen haben.
Sie sah auf die Uhr. Ja, noch blieb Zeit. Sie gab den Namen Rubén Ramos García in die Datenbank ein. Auf dem Bildschirm erschien das Foto eines jungen Mannes dunklen Typs. Leire las verblüfft die Angaben. Was zum Teufel hatte ein Junge aus gutem Hause, wie der Kommissar sagen würde, mit diesem Menschen am Hut? Rubén Ramos García, vierundzwanzig Jahre alt, registriert im Januar letzten Jahres und erneut im November wegen Kokainbesitz. Verdacht auf Rauschgifthandel, was nicht bewiesen werden konnte. Ein weiterer Vermerk: Vernommen im Zusammenhang mit einem Skinhead-Überfall auf mehrere Einwanderer, die schließlich die Anzeige zurückzogen.
Leire setzte einen raschen Bericht auf und hinterließ ihn auf dem Tisch, so wie sie es mit dem Inspektor vereinbart hatte. Dann wollte sie an nichts mehr denken, nahm den Helm und ging zu ihrem Motorrad.
Genau zwanzig Minuten nach fünf trat Martina Andreu durch das Tor des Parc de la Ciutadella. Dunkle Wolken zogen vom Meer herauf, und ein warmer, aber kräftiger Wind schüttelte die Äste der Bäume. In den Parkanlagen, mangels Regen fast ausgetrocknet, spielten Gruppen von Jugendlichen Gitarre oder tranken Bier. Sommer in der Stadt. Sie nahm schnellen Schrittes den Weg zu den Kaskaden, und das Rauschen schenkte ihr für einen Moment ein erfrischendes Gefühl. Sie ging um den Brunnen herum, zu einer Ecke des Parks dahinter, wo ein paar einzelne Bänke standen. Sie schaute sich um, bis ihr Blick auf eine recht kleine, sehr dunkelhaarige Frau fiel, die mit einem kleinen Mädchen spielte. Als sie auf die Frau zuging, drehte die sich gleich um und nickte leicht mit dem Kopf.
»Rosa?«
»Ja.« Sie war nervös; die Ringe um ihre Augen erzählten von der Müdigkeit eines ganzen Lebens. »Schatz, Mama spricht jetzt mit der Frau über eine Arbeit. Spielst du mal einen Augenblick allein?«
Das Mädchen schaute die Hinzugekommene ernst an. Sie schien die dunklen Ringe von der Mutter geerbt zu haben, auch wenn sie sehr schöne schwarze Augen hatte.
»Wir sind drüben bei der Bank«, sagte Rosa und deutete auf eine in der Nähe. »Geh nicht zu weit weg, Schatz.«
Martina ging zu der Bank, Rosa folgte ihr, und sie setzten sich. Der Wind wurde heftiger und kündete von einem Abendregen. Wurde auch Zeit, dachte die Unterinspektorin.
»Es regnet bald«, sagte Rosa, die den Blick nicht von ihrer Tochter ließ und unaufhörlich die Hände rang: kurze, kräftige Finger, rau vom Putzen fremder Wohnungen.
»Wie alt ist sie?«
»Sechs.«
Martina lächelte.
»Ein Jahr jünger als meine. Sie sind Zwillinge.«
Rosa lächelte zurück, etwas weniger nervös jetzt, auch wenn ihre Hände angespannt blieben. Mütter verstehen sich, dachte die Unterinspektorin.
»Sie haben mir etwas zu sagen, Rosa?« Sie wollte nicht ungeduldig erscheinen, aber die Zeit lief ihr davon. Als die Frau nicht antwortete, fragte sie weiter: »Etwas über Dr. Omar?«
»Ich weiß nicht, ob es
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