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Der Sommer der toten Puppen

Der Sommer der toten Puppen

Titel: Der Sommer der toten Puppen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonio Hill
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schlug die Augen auf und sah einen weißgekleideten Mann. Mit einem Gesicht, das dafür gemacht schien, schlechte Nachrichten zu überbringen, sagte der ihm, dass Carmen Reyes González außer Lebensgefahr sei, auch wenn sie noch mindestens vierundzwanzig Stunden unter Beobachtung bleibe; dass es natürlich noch dauern werde, bis sie sich ganz erholt habe. Und mit einerRoutinestimme, die für Héctor wie eine perfide Warnung klang, fügte er hinzu, dass man, auch wenn es außer der Prellung keine schwereren Verletzungen zu geben scheine, angesichts des Alters der Patientin nicht ausschließen könne, dass es in den nächsten Stunden zu Komplikationen komme. Zu ihr hineingehen dürfe er, ja, aber nur kurz. Und bevor er ihn einließ, bemerkte der Arzt, immer noch mit Bestattermiene, aber in einem recht unprofessionell verwunderten Ton, dass es ihn immer wieder erstaune, wie sehr sich die ältere Generation an das Leben klammere. »Die sind aus einem anderen Holz geschnitzt«, sagte er kopfschüttelnd, als wäre dies angesichts des Zustands der Welt unbegreiflich.

32
    Leire sah auf die Uhr und zog ein verärgertes Gesicht. Warum verschwanden die Männer immer, wenn man sie brauchte? Ich höre schon María, dachte sie. Doch Tomás war, trotz seines wenig ehrenvollen Rückzugs, im Moment nicht das Ziel ihrer Kritik. Der Inspektor hatte ihr gesagt, er würde sie am späteren Nachmittag anrufen, um Einzelheiten zu besprechen. Nun denn, auch wenn »am späteren Nachmittag« ein unbestimmter Begriff war, hätte sie erwartet, dass er wenigstens ein Lebenszeichen von sich gab. Sie widerstand der Versuchung, ihn anzurufen, schließlich war Salgado ihr Vorgesetzter, und wer wollte sich schon mit seinem Chef anlegen.
    Sie jedenfalls hatte an diesem Nachmittag ihre Hausaufgaben gemacht, sagte sie sich zufrieden. Zuerst hatte sie den Tisch abgeräumt und die Kroketten in den Müll geworfen, hatte eine Weile geweint, was sie auf ihren gefühlsduseligen Zustand schob, und nachdem sie sich geduscht und etwas Leichtes angezogen hatte, war sie, wie mit dem Inspektor verabredet, aufs Kommissariat gegangen, um den ersten Teil ihres Auftrags zu erfüllen. Aufgabe Nummer eins war im Nu erledigt: Eine gewisse Inés Alonso Valls flog am nächsten Tag von Dublin nach Barcelona, mit einer Maschine, die morgens um neun Uhr fünfundzwanzig Ortszeit landete. Sie hatte ihre Daten eingegeben, ohne dass etwas Bemerkenswertes dabei herausgekommen wäre. Das Mädchen war einundzwanzig Jahre alt, studierte seit ein paar Jahren in Irland und war die Tochter von Matías Alonso und Isabel Valls. Der Vater war schon vor achtzehn Jahren verstorben, aber Inés’ Mutter lebte noch. Leire hatte die Adresse notiert, wie Salgado es ihr aufgetragen hatte. Was die Aufgabe Nummer zwei betraf ...Leire sah wieder auf die Uhr, als könnten ihre Augen sie beschleunigen. Sie hätte jetzt gern angerufen, aber es war zu früh. Auf dem Kommissariat war wenig los an diesem Samstag, so hatte sie nichts, womit sie sich ablenken konnte. Gleich dachte sie wieder an Tomás, an ihr Gespräch am Nachmittag, und zum ersten Mal wurde ihr bewusst, dass er nicht der Einzige war, dem sie die Neuigkeit mitteilen sollte: Da waren ihre Eltern, klar, und wenn alles gut lief, früher oder später auch ihre Chefs. Nach dem Sommer, sagte sie sich. Noch musste sie sich an den Gedanken gewöhnen. Außerdem hatte sie schon tausendmal gehört, dass es besser sei, die ersten drei Monate abzuwarten. Und zum ersten Mal versuchte sie, sich dieses Wesen vorzustellen, das ihr bisher nur morgendliche Übelkeit bereitet hatte, diesen kleinen Menschen, der in weniger als einem Jahr neben ihr im Krankenhausbett liegen würde. Sie sah sich allein mit einem weinenden Baby, und das Bild, so flüchtig es war, erschreckte sie mehr, als dass es ihr Mut gab. Sie wollte nicht weiter grübeln, und da der Inspektor immer noch nicht anrief, wählte sie die Nummer ihrer Freundin María. Santi und die Käffer in Afrika schienen ihr auf einmal ein spannendes Gesprächsthema zu sein.
    Das Taxi hatte Martina Andreu an der Tür des Wohnhauses von Héctor Salgado abgesetzt, als die Sonne noch vom Himmel brannte. Ein paar Polizisten erwarteten sie schon ungeduldig im ersten Stock; es gab nichts mehr zu tun dort, und sie waren froh, dass sie gehen konnten. Beim Abschied bemerkte einer von ihnen, dass es im Treppenhaus fürchterlich stinke, und sie bejahte nur. Sie hatte es vorher schon gerochen, etwas weniger vielleicht, aber

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