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Der Sommer der Toten

Der Sommer der Toten

Titel: Der Sommer der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael T. Hinkemeyer
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kannst dich packen und nach Hause fahren«, kommandierte Papa. »Doc Bates hatte eigens einen Umweg gemacht, um …«
    »Schon gut, Ben. Der Reverend hat uns ja alles erklärt. Ist schon gut.« Bates nahm seine Tasche und rückte seinen Hut zurecht, den er wie immer aufbehalten hatte. »Jene, welche an der Weisheit zweifeln und die Liebe in Frage stellen, schleppen ihren Unglauben auf allen ihren Wegen mit. Das wissen Sie genau, Miß Jensen, ja?«
    »Ach was, papperlapapp. Blasen Sie auch schon in Mauslochers Horn?«
    »Schade, daß sie Land besitzt, wie, Ben?« sagte Bates. »Andernfalls …« Dann bedachte er Aggie mit einem nachsichtigen Lächeln, wenn es ihm auch schwerfiel. »Kümmern Sie sich gefälligst um Ihren eigenen Kram … Ich rechne damit, daß sie jetzt bald zu sich kommt«, sagte er zu Katie und Ben gewandt. »Im Moment gebe ich ihr kein Schlafmittel. Ruft mich, wenn sie aufwacht.«
    »Und wie steht es mit dem Essen?« fragte Katie.
    »Wie ich schon gestern sagte. Ein wenig klare Suppe. Ein wenig Wasser.«
    Aggie funkelte ihn an.
    »Ach, und noch eines«, fuhr er fort. »Wenn sie zu sich kommt, wird sie sich vielleicht etwas merkwürdig benehmen. Sie wird zwar nicht rumlaufen und dergleichen, haha, aber wenn sie auf Draht ist, wird sie vielleicht auf Fragen eingehen. Ich rate dringend davon ab, ihr Fragen zu stellen. Das könnte sie aufregen, und das wäre schlecht. Außerdem hat der größte Teil des Gehirns an Sauerstoff- und Blutmangel gelitten.«
    »Und?« fragte Katie.
    »Meine Liebe, ich spreche es nur ungern aus, aber deine Mama ist wahrscheinlich nicht mehr bei Verstand. Auch wenn sie sich dir verständlich machen könnte, würde sie keine sinnvollen Antworten geben.«

 
Freitag, nachmittags
     
     
I
     
    Katie fuhr mit Papas altem Wagen ins Dorf. Sie wollte in Hercules Rasmussens Laden, dem Wagonwheel, ein paar Besorgungen machen. Für die wenigen Meilen brauchte sie länger als gewöhnlich, weil sie sich mit dem alten Vehikel nicht auskannte.
    »Mit deinem Getriebe könnte man Hackfleisch herstellen«, äußerte Barney, der Polizist, spöttisch, als Katie schließlich vor dem Laden anhielt. Als sie ausstieg, spürte sie Barneys lüsternen Blick auf Beinen und Hinterteil.
    »Schön, dich wiederzusehen, Katie. Hörte schon, du wärest wieder da.«
    Er schien es ehrlich zu meinen.
    Barney stellte im Dörfchen St. Alazara das »Auge des Gesetzes« dar. Im Augenblick hockte er auf einem leeren umgedrehten Faß vor dem Laden. Es war seine gewohnte Position. Als ehemaligem »Star« des örtlichen Baseballteams hatte man ihn mit dieser amtlichen Funktion betraut. Er hatte inzwischen Gewicht zugelegt. Sein Wanst hing ihm über Hose und Pistolengürtel. Er trug die Waffe links, einen Revolver, natürlich mit Perlmuttgriff. Jetzt ließ er sich vom Faß herunter und streckte ihr die Hand entgegen. Es war seine einzige. Als Farmer hatte er in jungen Jahren die andere Hand eingebüßt, auch den Arm bis über den Ellbogen. Er war in die Metallwalzen einer Erntemaschine geraten. Barney trug einen schmalen Schnurrbart und sprach mit tiefer Stimme. Der Gesamteindruck deutete auf Härte hin.
    Katie hatte immer zu hören bekommen, daß sie allen Grund hatte, Barney dankbar zu sein. Vor langer Zeit, während einer Sonnwendfeier im Dorf, im Jahre vor Katies Geburt, war ein Fremder, irgendein wilder Mensch – »muß ein Erfinder gewesen sein, er hatte so eine Maschine bei sich«, behaupteten die Dorfbewohner – im Dorf aufgetaucht, war auf dem Dorfanger vor der Kirche erschienen und hatte versucht, ihre Mutter gewaltsam zu entführen. Vor allen Menschen. Barney, damals noch im Besitz beider Arme, hatte ausgeholt und dem Kerl mit dem Baseballschläger eins über den Nacken verpaßt. Das Rückgrat war feinsäuberlich gebrochen, wie Doc Bates sich gerne erinnerte. Später hinderte Barney der fehlende Arm am Baseballspielen und an der Farmarbeit. Doch die Dorfbewohner belohnten seinen Mut und machten ihn zum Gesetzeshüter. Er wohnte in einem Wohnwagen im Dorf, fuhr in einem alten Ford mit Licht auf dem Dach umher und lungerte meist um den Wagonwheel-Laden herum. Katie konnte ihn nicht ausstehen und traute ihm nicht über den Weg. Auch nach hiesigen Maßstäben war Barney nicht ganz geheuer.
    »Na, wie geht’s?« sagte er und schwenkte ihren Arm. »Einkäufe machen, hm? Wie macht sich deine Mama?«
    Katie berichtete, daß es nicht sehr gut stünde und entzog ihm ihre Hand. Sein Blick wanderte über ihren

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