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Der Sommer der Toten

Der Sommer der Toten

Titel: Der Sommer der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael T. Hinkemeyer
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Doc Bates.
    »Hungrig?« fragte Aggie Jensen. »Einmal blinzeln.«
    Mama blinzelte.
    Aggie lächelte. Katie hätte am liebsten losgeheult.
    »Stütze sie mit den Kissen ab, ja?« bat Aggie. »Ich werde ihr etwas Handfestes einflößen, solange Papa nicht da ist.«
    Draußen hörten sie den Traktor um die Ecke holpern. Das bedeutete, daß der Wagen beladen und das Geschäft abgeschlossen war.
    Katie lehnte Kissen an den Kopfteil des Bettes. Sie legte die Arme um die Schultern der Mutter, hob sie hoch und setzte sie zurecht.
    Mama sah sie dankbar an.
    »Aggie hat für dich Suppe. Und Brot. Möchtest du Milch oder sonst etwas?«
    Mama blinzelte.
    Katie hätte ihr gern Fragen gestellt, aber im Moment war es wichtiger, daß sie etwas zu essen bekam und sich nicht aufregte. Mit einem feuchten Tuch rieb sie Mama Hände und Gesicht ab und kämmte sie.
    Aggie brachte hausgemachtes Brot, Butter und eine große Schüssel mit dampfendheißer Suppe herein.
    »So, das wär’s«, sagte sie. Sie zog einen Sessel heran und nahm den Löffel zur Hand.
    Natürlich aß Mama mit größtem Appetit. Dieser verdammte Bates!
    Draußen tuckerte der Traktor die Zufahrt entlang, über die Brücke und weiter auf die Hauptstraße. Vom Schlafzimmerfenster aus sah Katie Vater über den Hof gehen. Er verschwand wieder einmal im Schuppen.
    »Mama«, fragte Katie, einem Impuls folgend, »weißt du, was Papa mit den alten Sachen da draußen macht?«
    Ihre Mutter hörte zu schlucken auf und sah zu Katie hoch.
    Sie blinzelte langsam, einmal.
    »Weißt du warum?«
    Wieder ein Blinzeln, verängstigt diesmal.
    Dann wurde ihr Blick trüber, wurde noch ängstlicher, mitleiderregend. Und sie konnte sich nicht mitteilen. Man mußte ihr die richtige Frage stellen, genau die richtige Frage, und Mamas Blick war so verzweifelt, daß es sehr zweifelhaft war, ob sie so weit kommen würden. Dieser Gedanke schien auch ihr gekommen zu sein, ihr Blick klärte sich und dann begannen wie am Vorabend ihre Lider zu flattern, und die Augen glitten die Zimmerdecke entlang, von einer Seite zur anderen und wieder zurück. Ein Signal. Sie wollte ihnen etwas zu verstehen geben.
    Es klappte nicht.
    Bis auf »Ja« und »Nein«.
    Aber das war schon etwas.
    Schließlich hielten ihre Augen mit der schweifenden Bewegung inne, ihre Lider flatterten nicht mehr. Sie sah zuerst Katie an, dann Aggie Jensen.
    »Katrin, wir verstehen das nicht«, sagte Aggie. »Kannst du uns sonst etwas sagen?«
    Katrin schien zu überlegen.
    »Mama, hast du Angst vor Doc Bates?«
    Ja, das war dem Blick ihrer Mutter deutlich zu entnehmen, noch bevor sie blinzelte, und zwar mit einer beinahe verzweifelten Konzentration. Sie wollte ihnen unbedingt von ihrer Furcht Mitteilung machen.
    »War er derjenige, der dir das angetan hat?«
    Eine Pause, dann zweimaliges, trauriges Blinzeln. »Nein.«
    »Aber jetzt hast du Angst vor ihm?« wollte Aggie wissen. »Vor Doc Bates?«
    Ein Zwinkern. Ja, sie fürchtete ihn.
    »Hat dir jemand etwas angetan?« drängte Aggie, über die Kranke gebeugt.
    Mama schien verwirrt, als wäre die Frage falsch gestellt, als passe sie nicht. Dann nagelte sie Katies Blick fest und blickte langsam hinüber zur Kommode, zog Katies Blick mit, starrte das Möbelstück an, und sah dann wieder Katie an.
    »Die Kommode? Ist damit etwas?«
    Ja.
    Katie trat an die Kommode, bückte sich und zog das unterste Schubfach heraus. Außer Bettüchern nichts.
    »Ist dir kalt? Möchtest du eine zweite Decke?«
    Nein.
    »Ist da etwas in der Kommode?«
    Ein befriedigtes Blinzeln. Man kam sichtlich weiter.
    Katie kramte unter der Bettwäsche und zog schließlich das Familienalbum heraus. Viel Bilder enthielt es nicht, denn sehr groß war die Familie nicht.
    »Ist da etwas drinnen?«
    Ja. Katie blätterte langsam die Seiten durch, ließ ihre Mutter mitsehen und gab ihr die Möglichkeit, mit einem Zeichen zu reagieren.
    Aggie trug das Geschirr in die Küche und machte sich ans Spülen.
    Katie schlug eine Seite nach der anderen auf. Als erstes kamen alte Fotos von Menschen, die lange vor ihr gelebt hatten, die ersten Pioniere in dieser Gegend. Da standen sie nun, neben einem Gespann schwerer Arbeitspferde, Bierkrüge in der Hand. Ein Picknick, längst vergessen. Und auf einem anderen Bild mit ernsten Mienen vor der halbfertigen Dorfkirche, deren Turmgerüst wie ein Riesenspielzeug aufragte. Sodann ein paar steife Posen ihres Vaters als junger Mann. Ja, er hatte etwas dargestellt. Seine Vitalität und körperliche

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