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Der Sommer der Toten

Der Sommer der Toten

Titel: Der Sommer der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael T. Hinkemeyer
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stotterte er, »du weißt ja …«, und deutete auf seine Schürze.
    »Sieh bloß zu, daß du dich nicht mal selbst ins Fleisch schneidest«, mahnte Barney ihn boshaft.
    Die Alten lächelten und lächelten.
    Die ständige Anwesenheit des Gesetzeshüters zerrte an Katies Nerven. Sie reichte Herc ihre Einkaufsliste, und er begann hin und her zu hasten, um die Bestellung zusammenzusuchen. Punkt für Punkt ging er die Liste durch und nickte ernsthaft: »Kopfsalat gibt es nicht«, sagte er. »Darf es Feldsalat sein?«
    Es durfte. Papa besaß leider keinen Küchengarten mehr.
    »Sehr schön«, sagte Herc und nahm einen Korb. Und dann raffte Hercules sich zu einer Kühnheit auf. Während der adleräugige Barney an die Schaufensterscheibe trat und die einzige Straße des Ortes nach Anzeichen von Illegalität inspizierte, warf der Ladenbesitzer Katie einen auffordernden Blick zu und machte eine Kopfbewegung. Katie begriff. Sie sollte ihm nach hinten folgen.
    Hercules bewegte sich hastig durch die zwei Ladengänge und lief an den Regalen mit den staubigen Konserven entlang. Katie hielt sich dicht hinter ihm. So schnell konnten die alten Leutchen nicht mit, und Barney war überrumpelt worden.
    »Da wäre etwas, das du unbedingt wissen mußt …«, zischte Herc und sah sich furchtsam um.
    Da tauchte am Ende des Regalganges neben dem Getränkeautomaten eines der alten Weiblein auf und zeigte ein breites Lächeln mit viel falschem Gebiß.
    »Lieber Hercules«, greinte sie, »würdest du so gut sein und diese Münze für mich einwerfen und mir eine Dose Saft herausholen? Meine Hände wollen heute nicht so recht. Sei ein guter Junge.«
    Bis er dieser Bitte nachgekommen war, stand Barney wieder als Eskorte neben ihnen, wie ein grinsender einarmiger Schutzengel.
    Wie ein Bewacher, dachte Katie.
    Und was hatte Hercules Rasmussen ihr sagen wollen?
    Was immer es war, er konnte nichts mehr darüber sagen oder wollte es vor Barney und den anderen nicht. Fast hätte sich eine Chance geboten, als das Auge des Gesetzes vor dem Süßigkeitenständer stehenblieb, alles befingerte und sich schließlich für einen Mandelbogen entschied. »Auf Rechnung des Hauses, ja, Herc?« witzelte er.
    »Hier in der Gegend geht etwas vor …«, tönte es leise aus Hercs Mundwinkel, und da kam auch schon wieder eine alte Frau an den Ladentisch geschlurft und fragte nach dem Eierpreis.
    Lächerlich! Die Preistafel hing sichtbar über ihnen.
    »Herc, rühr dich gefälligst, du Leimsieder«, stichelte Barney. »Katie hat eine kranke Mutter daheim.«
    Hercules wurde rot, sah ängstlich nach hinten und drückte die einzelnen Posten in die Registrierkasse.
    Katie wartete, bis er alles eingepackt hatte und bemerkte dabei nicht, wie hinter ihr die Greisenrunde aufstand. Langsam kamen sie auf Katie von verschiedenen Seiten herzu, die alten, eingefallenen, trockenen Gesichter zu seltsamen Grimassen verzerrt – eine Karikatur des Lächelns, Ausdruck der Hoffnung und Sehnsucht, der Verwunderung und – sonderbar – des Zweifels.
    Hercules, der mit der Kasse beschäftigt war, bemerkte zunächst auch nichts, doch dann blickte er auf, und Katie sah den plötzlichen Schock in seinem Blick.
    Sie fuhr herum, als müsse sie sich einer Gefahr stellen. Und da waren sie. Ein Halbkreis gaffender Greise und Greisinnen, deren Augen unverwandt auf sie gerichtet waren. Die Mienen enthüllten ein erschreckendes Verlangen, ein uneingestandenes Gefühl, wie Ekstase, ersehnt und doch gefürchtet. Sie spürte, wie sie ihr Gesicht zu einem Lächeln verzog.
    »Wir wollten dir nur alles Gute wünschen«, sagte zittrig einer der alten Männer und streckte ihr eine lebergefleckte Hand mit vergrößerten, gichtigen Gelenken entgegen. Gicht als Folge eines Lebens voll harter Arbeit ohne Gewinn.
    »So jung«, murmelte eine Alte, deren Oberlippe Fruchtsaftspuren zierten. Ihre steifen Finger strichen über Katies Arm.
    Katie unterdrückte ein Schaudern. Was ging hier vor? Hercules’ Augen verrieten Angst und Hilflosigkeit.
    Er hatte ihre Sachen eingepackt. »Später«, sagte er mit soviel Andeutung, wie er aufbringen konnte. Barney warf ihm bloß einen einzigen mißtrauischen Blick zu und machte sich in Gedanken eine Notiz.
    »Ach, hier kommt der Reverend«, rief der Polizist plötzlich aus. Alle blickten durch das Fenster hinaus.
    Es stimmte. Der Seelenhirte des Dorfes nahte. Katie gestand sich mit sinkender Stimmung ein, daß sie ihm eigentlich aus dem Weg hatte gehen wollen. Zwecklos. Er kam aus

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