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Der Sommer der Toten

Der Sommer der Toten

Titel: Der Sommer der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael T. Hinkemeyer
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Körper, von oben nach unten und wieder hinauf. Seine Augen funkelten.
    »Gut siehst du aus«, sagte er leise und atemlos. »Schlimme Sache, das mit deiner Mama«, setzte er hinzu, sich auf Manieren besinnend. »Sieht aus, als ginge es mit dem ganzen Dorf bergab. Genauso. Alle werden alt und geben auf. Die Jungen gehen fort … Bleibst du länger?«
    »Ja, eine Zeitlang.«
    Barney war ein Quatschkopf, der kein Ende finden konnte. Katie wollte schleunigst ein paar Sachen besorgen und wieder heimfahren.
    Sie drehte sich um und betrat den Laden. Barney blieb ihr wie selbstverständlich auf den Fersen, quasselte übers Wetter und die Ernte. Er hielt ihr die Tür auf. Das Glöckchen erklang, und ein paar alte Weiblein, die beim Einkaufen getratscht und die Zeit totgeschlagen hatten, sahen auf, als die beiden eintraten. Katie wußte, daß sie sie alle einmal gekannt hatte. Jetzt waren ihr die Gesichter nur noch undeutlich vertraut. Hinter dem Ladentisch spielten zwei Greise auf einem wackligen Tisch Karten. Alles sah auf und starrte sie an. Sie starrten und starrten.
    Katie wurde es unbehaglich, sie fröstelte.
    »Wir haben eine Blutzufuhr bekommen«, ließ Barney lautstark und unverblümt hören. »Jetzt geht es aufwärts.« Er zwinkerte den Alten zu. »Besonders, wenn es uns glückt, sie hier zu halten.«
    Die Alten lächelten und hörten nicht auf zu starren. War es nur ihre Aufmerksamkeit oder etwas anderes, das Katie nun spürte oder zu spüren glaubte, doch sie vermeinte, in ihren Augen die Andeutung geheimer Freude zu erkennen, etwas Verhülltes, dem Neid Ähnliches.
    »Na, sag ich’s nicht«, fuhr Barney fort. »Wo steckt denn dieser Faulpelz Hercules?« Barney sprach den Namen barsch und unfreundlich aus.
    Wie früher, dachte Katie. Alle hacken sie auf Hercules herum.
    Ein Muttersöhnchen. Seine Mutter hatte als erste auf ihm herumgehackt, und alle im Dorf hatten es ihr gleichgetan.
    Hercules Rasmussens längst verstorbener Vater gab aus Gutmütigkeit vielen Kredit und brachte es daher geschäftlich nicht sehr weit. In den Augen seiner Frau war er ein Versager, dessen plötzlicher Tod ihr keinen großen Kummer bereitete. Eines schönen Sommertages fiel er wie ein Sack hinter dem Ladentisch um, daß der Laden in den Grundfesten erzitterte.
    Auch Hercules war erschüttert; der Tod seines Vaters bedeutete, daß er seine Mutter nun sozusagen unverdünnt genießen durfte. Und zuvor war es schon arg genug gewesen. Seine Geburt am Tag der Sommersonnenwende, dem größten Fest der Dorfgemeinschaft, sah seine Mutter als Zeichen an. Damals hatte sie, sämtliche kaufmännischen Instinkte außer acht lassend, den Dorfbewohnern zur Feier des Tages ein Faß Freibier gestiftet.
    In der Folgezeit trimmte sie ihren Sproß so intensiv auf Härte und Geschäftstüchtigkeit, daß Hercules einem bloß in die Augen schauen konnte, wenn er Geld für die Waren entgegennahm. Seine Mutter hatte ihm das Geschäft nun überlassen und pflegte ihre Arthritis in dem alten großen Haus hinter dem Laden. Hercules fühlte sich seitdem viel wohler, konnte es aber nicht lassen, hin und wieder einen verstohlenen Blick nach hinten zu werfen, ob sie ihn beobachtete und sofort mit spitzen Bemerkungen zur Hand war. Sie lebte nun ziemlich vereinsamt, bettlägerig und träumte von alten Zeiten, da sie Hercules gedrillt und ihren Mann heruntergeputzt hatte.
    Herc kam aus dem Hinterzimmer gelaufen. Über den Jeans trug er eine blutbefleckte Schürze und ein rot-schwarz kariertes Sporthemd. Er wirkte eingeschüchtert, wie immer, gleichzeitig aber auch trotzig. Als er Katie bemerkte, errötete er. Also das auch noch. Sie wußte, daß er während der Schulzeit in sie verknallt war und sie im Schulbus auf der Fahrt nach St. Cloud angestarrt hatte – besser gesagt, meist ihre Kehrseite.
    »Ach, Katie«, brachte er schließlich hervor. Und warf einen Blick über die Schulter.
    Die alten Leute starrten noch immer.
    »Ich hörte, du bist zurück und wirst deine Mutter pflegen? Wie geht es ihr denn? Was kann ich für dich tun?«
    Katie konnte den Blick nicht von seiner Schürze wenden. Das Blut erinnerte sie an die blutigen Papierhandtücher im Mülleimer daheim, an den geheimnisvollen »Schnitt« ihres Vaters. Sie hatte ihn heute aufmerksam beobachtet und weder Verletzung noch Verband bemerkt. Hercules empfand ihren Blick als Kritik an seiner Erscheinung und war hastig mit einer Entschuldigung bei der Hand.
    »Hab’ draußen eben Koteletts geschnitten«,

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