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Der Sommer der Toten

Der Sommer der Toten

Titel: Der Sommer der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael T. Hinkemeyer
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kriecherische Gier hatte etwas Obszönes an sich.
    »Wir kennen das Leben und seine Zyklen. Wir sind vom Glück begünstigt, wir sind dem Land nahe«, führte der Geistliche mit einer weitausholenden, besitzergreifenden Geste weiter aus. »Und es steht geschrieben, daß wir alle am Tage der Auferstehung neu geboren werden.«
    Zustimmendes Nicken in der Runde, wie bei einer Vogelfütterung. Mauslocher fuhr unbeirrt fort: »Das Land erneuert sich selbst, und wir tun es ihm gleich, wenn er uns die Zeit schickt.«
    Mauslocher senkte andächtig den Kopf. Wie wundervoll tiefsinnig das alles war!
    »Ist es nicht so, Katie?«
    »Ja«, brachte sie heraus.
    »Und du behandelst diese junge Frau mit allem Respekt, Hercules, mein Sohn«, sagte der Pastor mit einem lehrmeisterlichen Blick auf den verängstigten Ladenbesitzer, der von einem Fuß auf den anderen trat. »Sie ist unser ganzer Stolz, und wir brauchen sie.«
    Die alten Menschen drängten sich näher heran, oder es kam ihr zumindest so vor. Sie sah ihr verstohlenes Lächeln.
    »Du bleibst sicher eine Weile, nicht?« fragte Mauslocher weiter. Auch wenn er sich salbungsvoll gab, konnte er den Befehlston nicht ganz unterdrücken.
    »Nun ja … bis …«
    »Tu das. Ich möchte dich sonntags in der Kirche sehen. Außerdem planen wir eine kleine Sonnwendfeier. In den letzten Jahren haben wir die alten Bräuche ein wenig vernachlässigt. Natürlich wird es bei weitem nicht so wie früher, als die Gemeinde keinen Fremden dabei duldete. Heuer könnten wir es eher ein Gedenken nennen …«
    Der Geistliche schien zu überlegen. Katie wußte, daß »früher« am Sonnwendtag nach dem Gottesdienst Reverend Mauslocher mit einer Abordnung von Bürgern alle umliegenden Farmen besucht hatte. Der Seelenhirte hatte alle Häuser gesegnet, sie mit Weihwasser besprüht und um reiche Ernte gebetet, um Wiedergeburt und Erneuerung, wenn die Erde ihre hohe Zeit dem Angesicht der Sonne zuwandte. Dann ging er immer zurück ins Dorf zu Bier, Tanz, Spielen und den langen Tischen auf der Gemeindewiese, die sich unter der Fülle der Gaben geradezu bogen. Eine Feier zu Ehren von Zeit und Leben und der Menschen, die an beidem Anteil hatten.
    »… oder vielleicht machen wir es heuer wieder ganz groß. Hm, hängt davon ab. Wir sind nicht mehr die Jüngsten. Wir werden ja sehen, wie alt wir an dem Tag sein werden, nicht?« fragte er augenzwinkernd die Alten. »Sag mal, wie geht es David?«
    »Ach, gut.«
    Irrte sich Katie wieder? Oder hatte sie aus seiner Stimme eine flüchtige Unsicherheit herausgehört, die Andeutung von etwas Verborgenem?
    »Wie ich hörte, hat er seine Ausbildung beendet. Ihr werdet jetzt sicher darangehen, eine Familie zu gründen.«
    Das war eine Feststellung, keine Frage. Sie nickt hastig. Das ging ihn wirklich nichts an. Diese altmodische Denkweise!
    Der Reverend nickte strahlend. Wie schön es war, daß diese jungen Menschen vorwärts strebten und die Ränge der Kinder Gottes von neuem füllten!
    Plötzlich streckte eine der alten Frauen mit neiderfülltem Blick die Hand aus und berührte Katies Wange. Ihre Hand verweilte.
    Katie rückte nicht ab. Sie drehte den Kopf und sagte zu dem Geistlichen: »David geht es wunderbar. Er kommt heute abend. Übers Wochenende.«
    Die Frau zog die Hand weg.
    »Ach«, sagte Mauslocher.
    Sein Blick verdüsterte sich.

 
II
     
     
    Eine Viertelmeile außerhalb des Dorfes verwandelte sich die Asphaltstraße abrupt in einen Schotterweg. Grober Sand und kleine Steinchen wirbelten gegen die rostige Unterseite. Das Steuer wollte Katie kaum gehorchen. Von hinten kam ein gelber Kombi näher, überholte sie und ließ Schotter aufwirbeln. Sie konnte einen Blick auf die ihr bekannt vorkommende junge Frau am Steuer werfen. Zwei hellhaarige Kinderköpfe grinsten neben der Schnauze eines riesigen Bernhardiners aus dem Rückfenster. Dann wurde alles von der Staubwolke verhüllt, und Katie sah nichts mehr. Sie ging vom Gas herunter und blieb weiter zurück. Einen Augenblick später gab sie erneut Gas, diesmal, um den anderen Wagen einzuholen. Ihr Gedächtnis hatte ihr auf die Sprünge geholfen. Sie wußte jetzt, wer die Frau war.
    Die vor ihr Fahrende hatte Katie ebenso erkannt. Der Kombi fuhr an den Straßenrand, die Staubwolke trieb weiter und verteilte sich über die Getreidefelder zu beiden Seiten der Landstraße.
    »Katie? Wann bist du denn zurückgekommen? Sieh mal an! Warum hast du dich nicht gemeldet?«
    Es war Judy Boomer, geborene Krause. Sie stammte

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