Der Sommer der Toten
aus dem Dorf und war, obwohl ein paar Jahre älter, mit Katie eng befreundet gewesen. Dann waren ihre Eltern nach St. Cloud umgezogen. Später, auf der Oberschule, waren Katie und Judy einander wieder nähergekommen, und als Katie das Undenkbare getan hatte – als sie David vor einem Friedensrichter in der Stadt geheiratet hatte aus Trotz Mauslocher und dem alten Ben gegenüber, und dann nach Minneapolis davongelaufen war –, da hatten Judy und ihr Mann Lent für sie Trauzeugen gespielt.
»Bin erst gestern abend gekommen. Weißt du schon von Mama?«
Judy wußte nichts. Katie erklärte die Situation.
»Ich komme rüber und helfe dir«, versprach Judy. »Wirklich.«
»Vielleicht später. Im Moment ist Mama sehr geschwächt. Außerdem habe ich Aggie. Sie ist ein Juwel.«
Die zwei Kinder im Heck des Kombis, Jungen, beäugten Katie mit mißtrauischer Neugier. Auf dem Rücksitz saß ein Baby, Schleifchen im Haar, Daumen im Mund.
»Wie ich sehe, warst du sehr fleißig. Wie geht’s Lent?« (Die Abkürzung für Len T.)
»Gottlob hat er endlich die Abschlußprüfung als Rechnungsprüfer gemacht. Dafür ist er jetzt aber dauernd auf Achse. Er überprüft Unternehmen in sämtlichen Käffern von Wilmar bis Holdingford. Das ist auch der Grund, weswegen ich hier bin. Ich habe über den Sommer eines von Aggies Häuschen gemietet.«
»Großartig!« rief Katie aus. Die erste freudige Nachricht seit ihrer Ankunft. Sie hatte eine Freundin in der Nähe.
»Wie geht’s David?«
»Sehr gut. Er hat das Studium hinter sich und die Anwaltsprüfung gemacht. Heute abend will er aus Minneapolis kommen.«
Judy mahnte einen der Jungen, er solle dem Baby nicht dauernd auf den Kopf schlagen.
»Und du … bist du erst im Versuchsstadium?« fragte Judy. »Babys, meine ich?«
»Wir fangen erst an«, scherzte Katie und dachte an den Zweiundzwanzigsten. Sie wollte nicht ins Detail gehen und hoffte nur, daß es nicht wie eine Entschuldigung geklungen hatte. Da stand Judy, die immer ein wenig zu rundlich gewesen war, und bekam ein gesundes Kind nach dem anderen, mühelos, bis auf die üblichen Beschwerden, die nicht zählen, und daneben Katie, schlanke Taille, lange Beine, zierliche Figur und …
»Sie halten einen ordentlich in Trab«, sagte Judy. »Aber Lent möchte ein ganzes Schock … sag mal, du siehst ziemlich niedergeschlagen aus. Ist deine Mutter …?«
»Ach, das ist es nur teilweise. Ich war … ich mache mir Sorgen um etwas anderes.«
»Was denn?«
»Ich bin nicht sicher. Nur … kommt dir hier nicht auch allerhand sonderbar vor? Die Leute, meine ich. Ich war zwar lange Zeit fort, aber … was meinst du? Alle schienen so beglückt, mich zu sehen. Das begreife ich nicht. Sogar Mauslocher, nach meiner ›sündigen‹ Heirat, wie er es sicher nennt.«
»Vielleicht hat er seinen Stil geändert und predigt jetzt Liebe und Vergebung«, meinte Judy. »Nun, ich war schon … wie lange …, warte, da fällt mir ein«, fuhr sie fort, »als ich Aggie anrief wegen des Sommerquartiers, da sagte sie etwas. Etwas über die ›komische‹ Farm. Aber ich dachte, das wäre so ihre Art.«
Katie sagte nichts von dem sonderbaren Verhalten ihres Vaters, berichtete aber von Butch Ronsky.
»Meine Güte! Da muß ich die Türen verschließen. Ich werde die Kinder nicht aus den Augen lassen. Gottlob habe ich den Hund.«
Dann erzählte sie Judy, was sich im Laden abgespielt hatte.
»Ach herrje. Herc ist so ein Hasenfuß. Wahrscheinlich schwärmt er noch immer für dich. Ich würde ihn nicht ernst nehmen. Jede Wette, daß er gar nichts zu sagen hatte. Und dieser Mauslocher mit den anderen! Der war doch immer schon komisch, wenn du mich fragst, und die anderen ›Bürger‹ hier auch. Ach, ich weiß nicht. Warum, glaubst du wohl, sind Mama und Papa damals nach St. Cloud umgezogen? St. Alazara ist …« sie suchte nach dem passenden Wort, »… ein jämmerliches Kaff.«
Das Baby im Kombi entdeckte, daß der Daumen wenig nahrhaft war, wurde unruhig und heulte schließlich los.
»Ich muß weiter. Hör mal, wir müssen uns unbedingt treffen. Wenn ich mich eingerichtet habe, rufe ich dich an oder du …«
»Geht nicht. Papa hat kein Telefon mehr.«
»Was?«
»Ja, wirklich?«
Judy schüttelte den Kopf. »Na, vielleicht aus Nostalgie. Hoffentlich wird alles wieder gut. Bis dann.«
III
Im Hof stand der alte Packard von Doc Bates. Das war nicht gut. Old Robert kam ihr entgegengesprungen und Katie mußte ausweichen. Der alte Köter sollte
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