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Der Sommer der Toten

Der Sommer der Toten

Titel: Der Sommer der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael T. Hinkemeyer
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ihr gewesen seid.«
    Vorne auf der Kanzel brannten zwei schwere vergoldete Kerzen. Waren es dieselben wie in der Sommerküche? Sie sahen so aus. Aber wer hatte sie hierher geschafft? Und wann?
    Reverend Mauslochers Totenandacht war bestenfalls oberflächlich. Aber das paßte zu allem übrigen. Alles war glatt verlaufen. Alle Ungereimtheiten fanden mit Butchs Tod für die Öffentlichkeit ein Ende.
    Barney hatte den Distriktsheriff kommen lassen, der am Abend zuvor aus St. Cloud eingetroffen war und Barney hatte seine Geschichte präsentiert, Papa eine ergänzende Aussage gemacht. Und Reverend Mauslocher hatte zu allem bekümmert und schulmeisterlich genickt und genickt. Das alles war wenig mehr als eine Lappalie. Abweichende Versionen über den Ablauf der Ereignisse tauchten erst gar nicht auf. Im Hinterzimmer des Wagonwheel amtierend, hatte der Coroner einfach die Totenscheine ausgefüllt, Stempel und Stempelkissen aus der Tasche gezogen und zwei Stempel angebracht. Beide Fälle waren damit abgeschlossen.
    Nichts weiter als eine kleine Tragödie in einem unbedeutenden Dorf am Rande der großen Wälder.
    Mauslocher vollführte am Altar sein übliches Theater und zeichnete schwungvoll Kreuze in die Luft. Glocken ertönten. Er trat einmal vor und besprühte die zwei Särge mit Weihwasser und äußerte dabei, wie schrecklich es wäre, »daß diese zwei hervorragenden Mitmenschen vor uns dahingegangen wären um ihren Lohn zu empfangen«. Von der versammelten Gemeinde zeigte niemand Mitgefühl oder Trauer, obwohl Mrs. Ronsky wiederholt ein Geräusch ertönen ließ, das an ein Wimmern erinnerte. Katie fühlte eine ganze Menge, doch galten ihre Gefühle nicht den Toten, sondern den Gemeindemitgliedern. Das sonderbare Benehmen ihr gegenüber ließ Katie keine Ruhe. Ihr Anblick allein schien die Alten aufzuheitern, bei jeder Gelegenheit suchten sie Katie zu berühren und verfolgten sie mit hungrigen Blicken.
    »Mögen die Toten nun in unserer fruchtbaren Erde ruhen«, stimmte Mauslocher den letzten Segen an. »Sie treiben nun dahin im Strom der Zeit. Sie sind tot in unserer Zeit, und doch leben sie weiter in unserem Gedächtnis an die Zeit, so wie es auch uns ergehen wird.«
    »Amen«, antwortete die Gemeinde.
    »Wir wissen es nicht, aber es war vielleicht der Wille des Herrn, sie zu unseren Wegbereitern zu machen.«
    Wieder ertönte das »Amen« der Gemeinde mit jenem begierigen Unterton gemeinsamer Erwartung. Alle schienen zu wissen, welcher »Weg« es war, den der Priester ständig verkündete.
    »Geht dahin in der Hoffnung«, intonierte er armeschwenkend und zeichnete ein Kreuz. »Diese Zeit ist vollendet.«

 
II
     
     
    Die Särge wurden aus der Kirche getragen und in die wartenden Leichenwagen geschoben, die sodann, gefolgt von Reverend Mauslochers Cadillac, den kurzen Weg zum Friedhof zurücklegten. Die Gemeinde ging die Strecke zu Fuß – hinkend, schlurfend oder humpelnd. Es dauerte nur wenige Minuten, und der Weg war zu kurz, als daß Hercules Rasmussen sich durch die Schar der Trauergäste zu Katie hätte durchdrängen können. Doch er bemühte sich verzweifelt, und sie sah, daß seine Miene nicht die übliche, eifrige Ängstlichkeit zeigte, die seine Mutter ihm anerzogen hatte, sondern echte Angst.
    Katie hörte, wie Otto Ronsky, der als Vater eines der Hingeschiedenen ganz vorne ging, zu Clem Ruehle, Versicherungsagent, Notar und Dorffaktotum, sagte: »Ja, ich hab’s abgeschritten. Die alte Aggie besaß 700 Fuß Ufergrund, der praktisch zwei Morgen tief ins Land reicht. Wieviel würde da ein Quadratfuß kosten, was meinst du?«
    »Ach, du möchtest also auf zwei Seiten mitmischen?« erwiderte Clem. »Wo bleibt dein Glaube? Na, wenn du nachher mit einem guten Fläschchen zu mir rüberkommst, können wir uns darüber unterhalten. Aggies Alter hat mich damals zum Testamentsvollstrecker gemacht, und sie hat nichts geändert, seitdem er damals selbst ins Gras beißen mußte.«
    Zwei Seiten? Glaube? Katie war ratlos.
    Vor dem offenen Grab hatte Hercules es endlich geschafft. Er stand knapp hinter Katie. Sie hörte seinen raschen flachen Atem. Zeitweise hatte sie den Eindruck, er beuge sich vor und versuche ihr etwas mitzuteilen.
    Und nun kam das Schlimmste: die eigentliche Beerdigung. Mauslocher hatte der Zeremonie am offenen Grab immer viel Mühe gewidmet. Um den Lebenden auch noch die letzten Gefühle abzuringen und seine eigene Position zu stärken, ließ er die Toten zu Akteuren, geradezu zu Stars in einer Show

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