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Der Sommer der Toten

Der Sommer der Toten

Titel: Der Sommer der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael T. Hinkemeyer
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gegenwärtiger als die Gegenwart.«
    Jetzt war er richtig in seinem Element und schwelgte in Phrasen. Und sein Publikum ging mit.
    Die Sonne stieg über den Bäumen hoch und tauchte sie alle in ihr Licht.
    »Illusion und Sehnsucht, das ist die Zeit.«
    Der Geistliche schüttelte den Kopf und senkte seinen Blick auf die Särge.
    »Eine herrliche Blüte, immerblühend in unserem Inneren.« Er betete gesenkten Kopfes. Dann fuhr er mit neuer Inbrunst fort:
    »Senkt eure Liebe in die Erde, und ihr werdet erneuert werden. Es ist sein Wille. Er wird es vollbringen!«
    Er? Was vollbringen?
    »Die Heilige ist bei uns. Er und die andere. Im Herzen von St. Alazara liegt unser Weg vorgezeichnet!«
    Er hielt inne. Die Umstehenden schienen zu vibrieren und zu glühen.
    »Und nun wollen wir sie zur großen Ruhe betten«, sagte der Reverend. Dolph Pelser und der Totengräber machten sich ans Werk. Seile und Flaschenzüge ächzten, als man die Särge in die Erde senkte.
    Dann löste sich die Menge um das Grab auf, und Hercules senkte den Kopf und bedeutete ihr so, seinem auf den Boden gerichteten Blick zu folgen. Seine Augen baten flehentlich. Und Katie folgte seinem Blick zur Erde. Und sie sah etwas.
    Die in säuberlichen Reihen angelegten Grabstellen sahen verändert und irgendwie unvollständig aus. Der grüne Rasen deckte sie wie eh und je. Doch war jede Grabstelle leicht konkav, leicht eingedrückt.
    Das kann bei alten Gräbern schon mal passieren. Sie sinken ab.
    Aber diese Gräber waren gar nicht so alt …
    Und dann stieß Katie zufällig mit Otto Ronsky zusammen. Sie entschuldigte sich und drückte ihm ihr Beileid aus. Er dankte flüchtig und geistesabwesend. Neben ihm Mrs. Ronsky und … und Doc Bates?
    Doc Bates war nicht da. Er war nicht auf den Friedhof mitgekommen.
    »Barney hat Butch rausgelassen!« hauchte Hercules ihr ins Ohr und stahl sich eilig davon.
    »Na, Herc möchte dir wohl schöne Augen machen?« ertönte es von hinten. Barney.
    Barney packte Herc beim Arm und drückte ihn genau über dem Bizeps.
    »Laß ihn sofort los!« rief Katie.
    Barney ließ ihn tatsächlich los, und Hercules suchte das Weite, wobei er sich unablässig den Arm rieb.
    »Das soll wohl ein schlechter Scherz sein«, sagte Barney und machte sich gar nicht erst die Mühe, einen aufrichtigen Ton anzuschlagen. Die Zuvorkommenheit der letzten Tage war wie weggeblasen.
    »An deiner Stelle würde ich nicht alles glauben, was ich hier zu hören bekomme«, fuhr er fort.
    »Glauben ist gut!« sagte Katie mit einem bedrückenden Gefühl der Ungewißheit und Angst. »Ich begreife es ja nicht mal!«
    Reverend Mauslocher fuhr, allein in seinem Cadillac sitzend, los.
    Barney, der Polizist, lächelte.
    Und während die Trauergemeinde den Friedhof verließ, kauerte sich der Totengräber neben Aggies Grabstelle nieder und begann mit seinem Schaufelstiel das nächste Grab auszumessen. Nur keine Zeit vergeuden! Man würde früher oder später sicher eines brauchen. Er würde hier noch viel Arbeit haben.

 
III
     
     
    Katie verfügte über etwas, das allen anderen fehlte, nämlich Jugend und die Beweglichkeit der Jugend. Sie lief Hercules schnell nach, rannte über den Rasen zwischen den geparkten Autos auf den Laden zu. Sie sah Mauslocher nach links abbiegen und die Richtung zum Fox Lake einschlagen, wie sie befürchtet hatte. Katie lief noch schneller, überquerte die Straße und riß die Ladentür auf. Das Glöckchen schrillte.
    Der Ladenbesitzer, der sich in Erwartung des Nachbeerdigungsgeschäftes die Schürze umband, sah verängstigt und bekümmert auf. Durch die großen Ladenfenster sah sie die Alten näherkommen, angeführt von Barney, der es sehr sehr eilig hatte.
    »Barney hat Butch rausgelassen?« fragte sie hastig. »Warum?«
    Hercules fing zu stammeln an.
    »Warum?«
    »A-a-ab- …«
    »Sag es mir, um Himmels willen! Rasch! Die anderen werden gleich da sein!«
    Die Schar der Alten kam bedrohlich näher. Jetzt überquerte Barney bereits die Straße, die Hand am Revolvergriff.
    Und Katie wußte, wo Doc Bates inzwischen war und auch vorhin gewesen war. Und wohin Reverend Mauslocher fuhr. Die Zeit drängte.
    »Es h-h-handelt sich um einen P-plan«, stammelte Hercules.
    »Was für ein Plan?«
    »Das weiß ich nicht.«
    »Wer weiß es denn?«
    »Alle. Alle anderen sind eingeweiht.«
    »Ich aber nicht.«
    Jetzt faßte Barney nach der Türklinke. Die Schar der Alten schlurfte über die Straße, manche legten für ihre Jahre ein beunruhigendes Tempo an

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