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Der Sommer der Toten

Der Sommer der Toten

Titel: Der Sommer der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael T. Hinkemeyer
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erklärte Doc Bates. »Die Blutzufuhr zum Gehirn muß momentan wieder funktioniert haben und das Bewegungszentrum reagierte sofort. Paroxysmus, um genau zu sein.«
    Papa weinte leise vor sich hin, das Gesicht in den Händen vergraben.
    Katie stand noch zu stark unter der Schockeinwirkung, um sich mit Tränen Erleichterung zu verschaffen.
    »Wie? Wie ist das nur passiert?«
    Der Geistliche, der um das Bett herum in Bewegung war und die Kerzen ausblies, wechselte einen Blick mit Doc Bates, der die Schultern hochzog und sagte:
    »Katrin, ich spreche es nur ungern aus …«
    »Katie heiße ich!«
    »Ach ja, Katie. Verzeih. Das macht die Aufregung. Schlimm, wenn einem ein Patient wegstirbt. Aber immerhin war es dein Mann, der darauf bestand, daß wir die Spritzen absetzten. Hätten wir bloß …«
    »Das ist nicht der Grund!«
    Jetzt kamen die Tränen. Es waren Tränen der Wut und des Zornes. Dieser alte Kurpfuscher hatte kein Recht …
    »Ich als Arzt hätte deine Mutter mindestens eine Woche lang mit einem Beruhigungsmittel behandelt. Damit ihre Gehirntätigkeit in ruhige Bahnen gelenkt wird. Außerdem sagte mir dein Vater, er wolle einen Arzt aus der Stadt hinzuziehen, falls bis Freitag keine Besserung einträte …«
    »Sie hätten Mutter ja nicht mal bis Freitag am Leben gelassen!« hörte Katie sich ausrufen. »Sie hätten nie …«
    »Genug jetzt! Wenn du dich weiter so gebärdest, wirst du selbst eine Spritze brauchen.«
    »Sie … Sie verrückter alter Narr!«
    Das gefiel dem Arzt gar nicht, doch bemühte er sich weiterhin um einen väterlichen Ton. »Das reicht jetzt. Immer mit der Ruhe. Ich verstehe ja, daß du dich wegen deiner Mutter so aufregst …«
    »Aufregen?«
    »… aber du mußt der Tatsache ins Auge sehen, daß es eigentlich dein Mann war, der …«
    »Er hat nichts getan!«
    »… ja, das möchte man meinen, aber ich sage ja immer, ihr jungen Leute sollt euch lieber im Bett emsig betätigen und das Denken uns Älteren überlassen, die mehr Erfahrung haben.«
    »Sie perverser alter … und Mama liegt da, und Sie reden daher …«
    »Hehe«, lachte Doc Bates meckernd, gänzlich ungerührt von der Gegenwart des Todes.
    »Doktor«, warnte ihn Reverend Mauslocher, »vielleicht möchte Katie lieber allein sein …«
    »Ach ja, ja.«
    Papa sah auf. Sein Gesicht war gramverzerrt und tränennaß. Sie konnte sich nicht erinnern, ihn je weinend gesehen zu haben.
    »Katie, mein Liebes, es tut mir ja so leid, aber wir mußten … um …«, setzte er an.
    »Ruhig, Ben«, unterbrach der Geistliche ihn hastig, »immer schön mit der Ruhe. Doc, Ben soll sich in der Küche ausruhen. Braucht er etwas von Ihnen?«
    »Nein, ein Schluck Alkohol wird reichen. Komm, Ben, reiß dich zusammen. Dieser Teil wäre vorbei. Es ist vorbei.«
    Ben konnte ohne Hilfe aufstehen, doch der Geistliche faßte nach seinem Ellbogen und geleitete ihn langsam und gesenkten Hauptes hinaus.
    »Ich fahre rasch ins Dorf«, sagte der Arzt zu Katie, »und werde Dolph Pelser verständigen. Er soll seinen Wagen schicken. Der Reverend bleibt inzwischen bei deinem Pa. Und jetzt möchte ich deine Ma hinlegen und ihr die Augen schließen …«
    »Das werde ich tun!« schrie Katie schrill auf. »Das mache ich! Und Sie machen, daß Sie hier rauskommen!«

 
V
     
     
    Diese Sache wäre jetzt ja fast vorbei, hatte Doc Bates gesagt. Katie registrierte diese Worte dumpf und legte sie als bedeutungslos in einem Winkel ihres Bewußtseins ab. Halbherzige Trostworte am Totenbett. Die Männer gingen hinaus. Katie trat ans Bett. Sie nahm die ausgestreckte Hand ihrer Mutter und legte sie an ihren erkaltenden Körper. Es war vorbei.
    Sie wollte der Toten eben die Augen zudrücken, als alles über sie hereinbrach: der letzte schreckliche Tag, Davids Abwesenheit, die verrückte Andeutung, ja Anklage des Arztes … Aber war sie wirklich verrückt, fragte sich ein kleiner argwöhnischer haßerfüllter Teil ihres Bewußtseins. Und diese Stimmung im Dorf, die auf einen geheimen Plan hindeutete? Oder hatte der seit jeher ängstliche und menschenfeindliche Hercules Rasmussen das alles nur erfunden? Und wenn ja, warum?
    Sie legte den Kopf auf die gemusterte Steppdecke, die Aggies und Mamas fleißige Hände einst angefertigt hatten.
    Sie hörte Doc Bates den Motor seines alten Packard starten und dann die Zufahrt entlangfahren. Er holte jetzt Dolph Pelser. Papa hatte das Telefon noch immer nicht anschließen lassen, aber er hatte immerhin irgendwo einen alten, eckigen Apparat

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