Der Sommer der Vergessenen (German Edition)
und näherte sich zögerlich.
„Das ist
mein Sohn. Roland, das ist dein Onkel Belenus. Belenus Brock, um genau zu
sein.“
Rolo
streckte eine Hand aus, doch sein Onkel umarmte ihn kräftig und drückte ihn
fest an sich.
„Wie deine
Mutter siehst du aus. Das bricht mir das Herz.“ Selbst wenn Rolo hätte
antworten wollen, die kräftige Umarmung nahm ihm jeglichen Atem. Schluchzend
schob Belenus Rolo wie eine Strohpuppe von sich weg, um mit beiden Armen seine
Schultern zu packen.
„Prächtiger
Junge, prächtig.“ Er ließ von Rolo ab und zog ein großes Stofftaschentuch
hervor, in das er sich geräuschvoll schnäuzte. Natürlich war es schwarz.
„Verzeiht
mir. Ich bin ein alter Trottel.“
Rolo
betrachtete den Mann genauer. Er hatte graues dichtes Haar, das streng nach
hinten gekämmt war. Leicht gebeugt stand er da mit seinem beachtlichen
Körperumfang. Er musste einiges über hundert Kilo wiegen. Welche Kraft in ihm
steckte, hatte Rolo ja bereits gespürt. Als das Gesicht wieder hinter dem
schwarzen Tuch auftauchte, sah Rolo freundliche Augen, ein ausgeprägtes
Doppelkinn und einen dunklen Spitzbart.
„Wann seid
ihr angekommen? Ihr müsst hungrig sein? Wie seid ihr hierher gekommen?“ Er
legte beiden Blutguts freundschaftlich einen Arm um die Schulter und führte sie
an einen freien Tisch, der etwas abseits stand. Mehr Apfelwein wurde gereicht.
Paps berichtete von ihrer Fahrt bis zu ihrer Begegnung mit Hwarf. Den Ärger mit
Kjeir sparte er allerdings aus, und auch Rolo hatte kein Bedürfnis, davon zu
erzählen. Aber er nahm sich vor, Belenus später nach Solomon, dem Schäfer, zu
fragen.
Kapitel 8
Tweed
hastete den Hang hinab. Loses Geröll nahm ihm den Halt. Er rutschte ab und
schlug mit der Flanke gegen Fels. Benommen blieb er liegen. Wolken verdunkelten
den Mond. Tweed blinzelte in den Nachthimmel. Seine Augen leuchteten strahlend
gegen die Dunkelheit. „Weiter, alter Junge. Weiter!“ Mit einem entschlossenen Satz
stand er wieder. Hastig kratzten seine Pfoten über den steinigen Grund.
Zwischen spitzen Felsen sprang er über einen Abhang, landete hart auf einer
Schräge, überschlug sich und war schon wieder auf den Beinen. Schwer atmend
duckte er sich unter einem Felsvorsprung. Nichts war zu hören, nur das laute
Pochen seines Herzens. Vorsichtig streckte er die Nase hinaus und schnüffelte.
Nichts. Er stützte die Vorderläufe an den Fels und richtete sich auf, um über
den Vorsprung zu schauen. Auf dem Gipfel des Berges saß die Burg wie eine fette
Spinne. Ihre zahllosen Fenster waren hell erleuchtet. Kein Anzeichen von
Aktivität war zu sehen. Hatte er sich getäuscht? Er war sich sicher, dass das
Irrlicht ihn bemerkt hatte. Doch dies war nicht die Zeit für Vermutungen.
Der Grüne
braucht die Nachrichten. Auf leisen Sohlen lief er weiter, geduckt zwischen
den Felsen. Tweed war ein Schleicher, der seinesgleichen suchte. Kein Geräusch
verriet ihn. Zwei Mäuse, die oben auf dem Felsen saßen, um sich die Sterne
anzuschauen, bemerkten ihn nicht. So entfernte er sich weiter von der Burg. Mit
einem Satz überwand er einen Graben, fand Deckung hinter einem toten Baum. Ein
scharrendes Geräusch ließ ihn aufhorchen. Eine Krähe stocherte mit einem
Stöckchen im Schnabel zwischen den Felsen nach Käfern. Tweed legte die Pfote
ans Maul. „Pssst.“ Die Krähe legte den Kopf schräg, schien zu verstehen. Doch
dann nahm sie das Stöckchen zwischen Schnabel und Kralle und brach es entzwei.
Das zarte Geräusch des brechenden Holzes klang wie Kanonendonner in Tweeds
Ohren. Wütend schnappte er nach der Krähe. Doch sie war schon in der Luft, flog
krächzend davon. Tweed wusste, dass alle Heimlichkeit jetzt vorbei war. Er
hätte genau so gut ein Signalfeuer entzünden können. Die schräg abfallende
Ebene vor ihm war durchsetzt von unregelmäßigem Fels. Er konnte nicht sehen,
was am Fuß des Berges lag. Aus der Ferne hörte er ein Geräusch. Es klang wie
das Rauschen eines Wasserfalls. Die Wolken zogen weiter und der Mond erhellte
die Nacht. Das wird ja immer besser, dachte Tweed und schaute zurück, rauf zur
Burg. In diesem Moment erlosch dort das Licht. Tweed duckte sich. Er wusste,
dass man aus dem Dunkeln gut ins Dunkel blicken konnte. Jetzt nur weg! Mit
kurzen flinken Sprüngen begann er seinen Abstieg. Er schaute nicht zurück,
schaute sich nicht um. Das Rauschen wurde lauter. Es war jetzt mehr ein
Brummen, schien näher als zuvor. Der Hang wurde steiler. Tweed musste
vorsichtig sein, um
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