Der Sommer der Vergessenen (German Edition)
gut voran. Da diese Hänge am Rand des
Waldes selten betreten wurden – die Neunseener benutzten die Wege – gab es
keinen Trampelpfad, dem Driftwood folgen konnte. Aber den Weg zu benutzen,
schien ihm zu riskant. Er wollte nicht mehr Begegnungen riskieren als unbedingt
nötig. Mehrmals blieb er stehen, um sich zu orientieren, wenn der gerade Weg
von dornigen Sträuchern oder verrottenden Bäumen versperrt war. So ging es in
schlangenförmigen Linien hinab bis an den westlichsten Rand des Tals, das
Neunseen umgab. Driftwood wusste noch, dass es in der Vergangenheit das
Furtenland genannt wurde.
„Ab hier
wird es unmöglich, in Deckung zu bleiben. Ich schlage vor, wir versuchen es gar
nicht erst. Von Baum zu Baum zu rennen wie ein Strauchdieb, wäre auffälliger
als ein Wanderer, der auf die Stadt zuhält, in der er was zu suchen hat.“
„Brrr“,
meinte auch Kotze.
„Stimmt, das
Cape wird uns ein wenig Deckung geben in der Dunkelheit. Also los.“
Sie liefen
über die Wiese. Der Geruch von frisch geschnittenem Gras hing in der Luft.
„Nun sieh dir
das an, Kotze. Keine Blume wächst hier noch. Und die Grashalme sind geschoren
wie Schafe. Was soll das? Allerdings muss ich sagen, es kribbelt sehr angenehm
an den Füßen.“
Zielstrebig
hielten sie auf die Stadt zu, bis der erste Flusslauf ihren Weg kreuzte.
Grillen zirpten am Ufer. Driftwood öffnete vorsichtig den oberen Knopf des
Capes und schielte hinaus. Nebel stieg aus den Wiesen auf. Das hinderte auch
die Augen eines Nachtalbs am Sehen. So sehr sich Driftwood auch bemühte, er
konnte keine Brücke entdecken. Der Mond war bereits hinter den Bergen
verschwunden und der Anbruch des nächsten Tages nicht mehr fern.
„Verdammt!“,
murrte er. „Wir haben keine Zeit für so einen Mist.“ Er raffte das Cape so hoch
es ging und hielt vorsichtig einen Zeh ins Wasser. Wenigstens war es nicht
kalt. „Ach, Kotze, wie gerne würde ich jetzt mit dir tauschen.“ Er tat einen
entschlossenen Schritt in den Fluss und verschwand bis dicht unters Kinn im
Wasser.
„Brrr?“
„Klappe!“
Driftwood watete los. Es war wohl Glück im Unglück, dass der Fluss keine
tieferen Überraschungen bereithielt. So erreichte wenigstens Kotze das andere
Ufer trocken. Das nasse Cape wog schwer, und Driftwood kletterte auf allen
Vieren die Uferböschung hinauf. Nicht weit entfernt entdeckte er den Weg.
„Jetzt ist
es wohl auch egal.“ Er dachte an die Magusch, mit der nasse Kleidungsstücke
oder Pelze in Sekunden trocken wurden. Man musste nur das Wasser bitten zu
gehen. Leider konnte Driftwood sich im Moment an überhaupt keine passenden
Verse erinnern, und er blieb nass. Das waren Augenblicke, in denen er Socke
noch mehr vermisste. Der Nebel lag still, kein Lufthauch ging. Die Sterne waren
tausend funkelnde Augen im Nachthimmel, die den fröstelnden Nachtalb im Blick
behielten. Sie erreichten den Weg. Er war mit großen grauen Steinen befestigt.
Driftwood schaute nach rechts. Da verlor sich der Weg im Nebel. Er schaute nach
links. Schemenhaft sah er das Osttor von Neunseen.
„Brrr?“,
fragte Kotze.
„Genau“,
antwortete Driftwood. „Ist nicht mehr weit.“ Tropfend stapften sie durch die diesige
Landschaft. Es kam Driftwood komisch vor, ungeschützt und ohne Deckung auf die
Stadt zuzugehen. Wenigstens der Nebel gab ihm ein wenig das Gefühl von
Geborgenheit. Er hoffte, dass seine Verkleidung überzeugen würde. Jetzt kamen sie
in den Bereich, wo Wachen sie sicher sehen mussten, trotz des dunklen Umhangs. Das
Wasser verdunstete in seinem Pelz, und er fror. Ruhig sprach er zu Kotze, aber
eigentlich nur, um sich selbst zu beruhigen.
„Das Osttor
war früher kein Haupttor zur Stadt. Es wurde nur von Bauern, Handwerkern,
Holzfällern oder allem möglichen fahrenden Volk benutzt, das Neunseen in
Richtung Wälder verließ. Aber bewacht war es trotzdem. Hoffentlich ist es auch
in der Nacht besetzt. Sonst müssen wir noch die halbe Stadt umrunden. Bin dahin
wäre fast Tag.“
Mühlen säumten
den Weg. Laut rauschte das Wasser in den großen Mühlrädern. Driftwood hatte
nichts übrig für diesen modernen Schnick-Schnack. Er wusste allerdings, dass
Socke von solchen Konstruktionen und der Mechanik dahinter fasziniert war.
„Ich hoffe,
alles in Butter bei Socke da oben.“ Entschlossen hielt er auf das Tor zu.
Es war nicht
einfach, Hwarf durch das Gedränge zu folgen. Die Leute tanzten, wo es ihnen
gerade einfiel, oder sie standen in großen Gruppen beisammen. Hwarf
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