Der Sommer der Vergessenen (German Edition)
dreht. Mit dir oder ohne dich. Die
Irrlichter sind bereits auf der Spur deiner Freunde. Und diesmal ist niemand
da, der sie stoppen kann.“
Kapitel 12
Die Blutguts
saßen schwatzend am Tisch. Die Bendith Geserith hatte ihre Rede schon vor
Stunden beendet. Die Schiffsbesatzung war zurückgekehrt und hatte in Windeseile
die Leinen eingeholt. Unter lautem Beifall und vielen Segensrufen war die
Taranis auf den See hinaus gesegelt und in der Dunkelheit verschwunden. Danach
nahm das Fest Fahrt auf. Bier und Wein flossen in Strömen. Nach und nach hatten
sich einige Neunseener zu den Blutguts gesellt. Offenbar hatte die Aufforderung
der Bendith Geserith, sich mit den Besuchern von außerhalb zu beschäftigen,
vielen die Scheu vor den Fremden genommen. Die Musik spielte, es wurde getanzt
und gelacht. Hier dachte niemand ans nach Hause gehen. Paps hatte, entgegen
seinen sonstigen Gewohnheiten, tief ins Glas geschaut. Belenus und er steckten
die Köpfe zusammen. Viele alte Geschichten wurden aufgewärmt, und die Wirkung
des Alkohols tat das Übrige. Rolo genoss es, seinen Vater so ausgelassen zu
erleben. Obwohl er selbst zahllose Fragen zum Nachtschattental hatte,
beantwortete er geduldig alles, was die Neunseener über Rabenstadt und, wie sie
es nannten, die Welt da draußen wissen wollten. Onno war mindestens
doppelt so schwer wie Rolo. Seine dicken Wangen waren gerötet vor Aufregung und
vom Wein. Er redete wie ein Wasserfall, und wenn er lachte, bebte sein massiger
Bauch. Rolo konnte gar nicht anders, als mitzulachen. Er fragte sich gerade, ob
Onno es schaffen würde, seine Weste über seinem stattlichen Bauch zuzuknöpfen,
als ihn Krah anstupste. Krah sah seinem Namen entsprechend aus wie eine junge
Krähe. Er war eher schmächtig, aber seine lange Schnabelnase verlieh ihm etwas Durchtriebenes.
Rolo mochte ihn sofort.
„Erklär das
doch noch mal mit diesen Rolltreppen. Ich meine, was soll das? Entweder Rollen
oder Treppen. Aber beides? Völlig bescheuert.“
„Rolltreppen“,
wiederholte Onno und bebte vor Lachen.
„Das ist
total praktisch“, erklärte Rolo. „Wenn du viel tragen musst im Supermarkt, oder
wenn du eine neue Waschmaschine gekauft hast …“. Weiter kam er nicht. „Waschmaschine“,
grölte Onno, und alle lachten.
Rolo lachte
mit. Er konnte nachvollziehen, wie seltsam sich das anhören musste, wenn man
nie zuvor davon gehört hatte. Allerdings fragte er sich, wie hier Wäsche
gewaschen wurde. „Hallimasch“, sagte Krah an den alten Herren gewandt, der schweigend
dem Gespräch lauschte. „Du warst doch auch schon öfter da draußen. Was ist denn
so super an den Märkten? Essen die Äpfel, die ich da kaufe, sich selbst auf?“
Alle lachten,
nur Hallimasch blieb ungerührt.
„Sei nicht
so albern, Karl Creinveld.“ Er benutzte Krahs richtigen Namen. „Unser Besucher
wird uns noch für eine Bande von Hinterwäldlern halten. Na, ganz unrecht hätte
er ja nicht. Und wenn der dicke Herr Onno Blix mal sein Temperament für einen
Moment zügeln könnte, würde unser ehrenwerter Besucher bestimmt einen ganzen
Satz bis zum Ende sprechen mögen.“
Onno
errötete und senkte den Blick. Hallimasch gab ihm einen freundschaftlichen
Klaps auf die Schulter. „Und denkt dran, in der Schule bin ich Meister Hallimasch.“
Er nippte zufrieden an seinem Glas.
„Sie sind
ein Lehrer? Was unterrichten Sie denn?“, fragte Rolo.
„Heilkräuter.
Und im kommenden Schuljahr auch Diplomatie. Ich hoffe“, sagte er an die anderen
gewandt, „dass ihr bis dahin alle wieder frisch seid nach so viel Apfelwein.
Wird kein Zuckerschlecken. Jetzt, wo der alte Meister Köhler die wohlverdiente
Rente genießt, werden wir andere Seiten aufziehen. Schluss mit dem Larifari.“
Er zog eine lange Holzpfeife aus der Tasche, die er gemütlich zu stopfen
begann.
„Meinen Sie“,
begann Rolo, „ich könnte mal in der Schule vorbeischauen? Natürlich nur, wenn
es keine Umstände macht.“ „Ja, Hallimasch“, sagte Krah, „kann Rolo nicht
mitmachen? Dann lernt er was anderes als Rollmaschinen und Waschtreppen.“ Er
lachte, und Rolo boxte ihm belustigt in die Seite.
„Das hab ich
nicht zu entscheiden“, sagte Hallimasch und paffte an seiner Pfeife. „Da müsst
ihr schon den Erus fragen.“
„Der Erus?
Was ist das?“, fragte Rolo.
„Na, der
Schulleiter. Meister Adalar natürlich“, antwortete Onno, dem dieser Name
sichtlich Respekt einflößte.
„Wird aber
nicht leicht für dich, da mitzuhalten“, sagte
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