Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Sommer der Vergessenen (German Edition)

Der Sommer der Vergessenen (German Edition)

Titel: Der Sommer der Vergessenen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: René Grandjean
Vom Netzwerk:
einen nassen Pelz. Er suchte
nach einem Ausweg. Doch schon stand ihm das Wasser bis zum Hals. Ein kleines
Boot trieb vor seinem Gesicht. Er schlug danach, aber sofort tauchte es wieder
auf. Dann verlor er den Boden unter den Füßen. Schwimmen war nicht seine
Stärke. Wild ruderte er mit den Armen. In der Decke öffnete sich eine Luke. Das
war schon ein besonderes Entgegenkommen ihres Gastgebers. Aber davon hätte
Driftwood jetzt bestimmt nichts wissen wollen. Das steigende Wasser drückte ihn
hinauf durch die Luke in ein enges Rohr. Driftwood presste die Arme an den
Körper und hielt die Luft an. Abgesehen vom besorgniserregenden Mangel an
Sauerstoff machte die Fahrt ihm richtig Spaß. Besonders jetzt, wo er noch mal
an Tempo gewann. Das verzweigte System aus Rohren führte steil hinauf. Dann zur
Seite. Dann nach draußen. Mit einem Wasserschwall schoss Driftwood im hohen
Bogen hinaus, prallte gegen einen Baumstamm, und blieb liegen. Socke, selbst
kaum größer als ein Apfel, erreichte das Ende des Gangs. Er öffnete die Tür und
ging mit Kotze, der jetzt die Größe einer Murmel hatte, in den Raum. Dort war
alles wieder trocken. Die Äxte schwangen hoch über sie hinweg. Sie bestiegen
das Boot. Der Raum füllte sich mit Wasser. Das Boot schwamm hinauf zur Decke.
Eine Luke öffnete sich, und sie glitten hinein. Kotze starrte in das dunkle
Wasser hinab.
    „Ganz ruhig,
ich hol ihn gleich“, sagte Socke. Und wie in einer Regenrinne glitten sie in
Trödels Laden. Zwischen zahllosen Kleiderständern, Möbeln und Setzkästen stand
der Hausherr. Trödel hatte runde Augen, eine ausladende Schnauze und eine Nase
wie eine Rosine. Dazu sehr große Fledermausohren. Sein Fell war hellgrau, sein
Schwanz buschig und geringelt. Er trug ihn mit viel Stolz. Socke kletterte aus
dem Boot und hob Kotze hinaus. Trödel überreichte beiden eine Karte.
    „Driftwood
nicht da?“, grinste er.
    „Ich geh ihn
holen“, sagte Socke.
     
    Driftwood
saß in einer Ecke des Ladens. Er bibberte, obwohl es nicht kalt war, eingehüllt
in eine dicke Wolldecke. Hustend schlürfte er Schluck für Schluck ein
dampfendes Gebräu. Kotze lag auf seinen Füßen und schlief. Socke und Trödel
standen etwas abseits zwischen den Fingerhüten, die Trödel als Helme, und den
Goldmünzen, die er als Wandgemälde verkaufte.
    „Socke,
wirklich schön, dich zu sehen“, sagte Trödel mit einem Seitenblick zu
Driftwood. „Wie lang ist das her, dass ich deine geschätzte Gesellschaft
genießen durfte?“ Er bemühte sich, vornehm durch die Nase zu sprechen.
    „Ewig,
Trödel, ewig und viel zu lang.“
    „Wo hast du
denn die Jahre verbracht, mein Freund? In Ascot, auf einem Landsitz? Beim
Pferderennen?“
    „Och, weißt
du, wir mussten uns eine Weile aus dem Geschäft zurückziehen.“
    „Das wundert
mich nicht. Dass du dich immer noch mit diesem Dahergelaufenen herumtreibst.“
    Driftwood
nieste.
    „Ach, lass
gut sein, Trödel. Er ist in Ordnung, wenn man ihn kennt.“
    „Ich weiß
nicht.“ Trödel zuckte die schmalen Schultern. „Je mehr ich ihn kenne, desto
mehr finde ich ihn zum … Na ja, womit kann ich dich denn heute beglücken,
begeistern oder verzaubern in Trödels Trödelparadies?“ Er drehte sich mit
ausgebreiteten Armen um die eigene Achse. „Du sagtest ja, dass ihr gerade etwas
in Not seid. Du weißt, ich bin ein Gentleman. So werde ich dir nicht mit Fragen
zu eurer Lage zu Nahe treten. Ich will jetzt auch nicht wieder davon anfangen,
was ich dir schon mehr als einmal gesagt habe.“
    „Fein“,
sagte Socke. Für ihn war das Thema damit erledigt. „Sag mal, hast du in letzter
Zeit noch andere gesehen?“
    „Du meinst
vom Nachtvolk?“ Trödel legte sich seinen Schwanz über den Arm und schritt
erhaben auf und ab. „Nein, hab ich nicht. Ich vermute, das liegt daran, dass
ich mich damals nicht auf die krummen Geschäfte mit dem irren Salka eingelassen
habe.“
    „Salka?“
Socke erinnerte sich. „Natürlich, das war der alte Nachtalb mit dem Buckel und
der Krücke. Und hatte er nicht nur ein Auge?“
    „Genau der.
Ich bekomme schon Gänsehaut, wenn du nur von ihm sprichst. Ein widerliches
Subjekt. Er hatte damals die völlig absurde Idee, mit menschlichen Träumen zu
handeln. Was für ein Irrwitz. Menschliche Träume. Er wollte liefern, ich sollte
verkaufen. Als ob die Menschen zuschauen, wie wir ihnen ihre Träume stehlen.“
    Socke nickte.
Er wusste, wie sich damals so eines zum anderen gefügt hatte. „Und du glaubst,
dass deshalb

Weitere Kostenlose Bücher