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Der Sommer der Vergessenen (German Edition)

Der Sommer der Vergessenen (German Edition)

Titel: Der Sommer der Vergessenen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: René Grandjean
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viele Wochen nach deiner
Geburt hier. Ich habe es dir nie erzählt, aber du bist in Neunseen geboren. Gar
nicht weit von hier.“
    „Wie ist
Mama wirklich gestorben?“
    „Mein Junge,
deine Mutter ist nicht tot.“
    Alle
schwiegen. Rolo spürte den Sinn der Worte mehr, als dass er ihn verstand.
Tränen verschleierten ihm die Sicht. Seine Stimme war ein gebrochenes Flüstern.
„Du hast mich belogen? Du hast mich mein ganzes Leben lang belogen?“ Belenus
schnäuzte sich in ein schwarzes Taschentuch. „Roland, hör mir zu! Deine Mutter.
Damals. Es waren schlimme Zeiten. Es begann, kurz bevor sie mit dir schwanger
wurde. Sie traf jemand. Freunde aus der Farralot. Es passierte alles im
Verborgenen. Ich freute mich, dass sie alte Kontakte wieder aufleben ließ. Dann
wurde alles verrückt. Deine Mutter wurde immer rätselhafter für mich. Zuerst
dachte ich, es wäre die Schwangerschaft. Dann fand ich die Aufzeichnungen. Ich
habe nicht rumgeschnüffelt! Sie lagen einfach so herum. Beschwörungsformeln und
finstere Hexerei. Ich verstehe doch nichts von diesem Unsinn. Ich merkte, wie
sie mir entglitt. Stellte sie zur Rede. Zunächst wollte sie nichts davon
wissen. Aber ich ließ nicht locker. Immer wieder fragte ich sie, wo sie
hingeht. Wen sie trifft. Was sie tut. Weißt du, was ich dachte? Ich dachte, sie
hätte jemand kennengelernt. Einen anderen Mann.“ Er lachte bitter. „Ich
wünschte, das wäre alles gewesen! Ich habe sie so geliebt.“ Er verbarg das
Gesicht in den Händen und weinte. Belenus schluchzte leise. Rolo hatte seinen
Vater noch nie weinen sehen. Seine Wut verpuffte und wich großer Trauer. Tante
Farrah sprach: „Mein Junge, bitte bedenke. Gut oder böse, das ist immer eine
Frage des Standpunktes. Vieles, das dir böse erscheint, mag für jemand anderes
gut und richtig sein. Gerechtigkeit ist ein zweischneidiges Schwert. Ist der
böse, der vielleicht im Irrglauben für eine Sache kämpft? Wenn er es nicht
besser weiß? Welche Opfer ist man bereit zu bringen, um seine Ziele zu
erreichen? Verblendet und verführt von falschen Versprechen. Nichts ist nur
schwarz oder weiß. Nicht im Nachtschattental, nicht in Rabenstadt, nicht in der
Welt. Auch nicht du oder ich. Auch nicht deine Mutter. Verstehst du, was ich
dir sagen will? Jeder muss sich in jedem Moment entscheiden, welche Seite für
ihn die richtige ist. Und deine Mutter, sie entschied sich für die falsche
Seite.“
    „Du warst
gerade zur Welt gekommen, ein Baby. Ich war doch für dich verantwortlich. Sie
hatte völlig den Verstand verloren. Also tat ich, was getan werden musste. Ich
brachte dich von hier fort. Von ihr fort.“
    Schweigen
erfüllte die große Halle der Farralot. Rolo versuchte, das Chaos aus Gefühlen
in den Griff zu kriegen. Es wollte ihm nicht gelingen. „Das sind doch alles
Lügen!“ Er sprang auf und stieß seinen Stuhl zu Boden. Die Worte erreichten
nicht seinen Verstand. Die Tränen seines Vaters rührten sein Herz nicht mehr.
Er wünschte sich, er könnte ihm seine Enttäuschung ins Gesicht brüllen. Könnte
ihn fühlen lassen, was er jetzt fühlte. Aber die Wut schnürte ihm die Kehle zu.
Er sah die große Pforte. Er hätte später nicht sagen können, ob sie vorher
schon da war. Vielleicht hatte die Farralot erkannt, dass Rolo einen Ausweg
brauchte. „Rolo!“, rief sein Vater, aber Tante Farrah fasste ihn beim Arm.
„Lass ihn laufen.“
     
     

Kapitel 17
    Die Pforte schloss
sich mit einem Knall hinter Rolo. Vor ihm führte eine breite Treppe in den
Garten. Er rannte hinab. Die Dämmerung brach bereits an. Meine Mutter lebt! Nicht nur das war es, was ihn an seinem Verstand zweifeln ließ. Und an seinem
Vater. Die Farralot befand sich auf einem Hügel. Rolo sah die Lichter von
Neunseen im Tal flackern. Wo sollte er sonst hin? Zauberei und Magie. Er liebte
die Geschichten darüber. Aber in Wirklichkeit? Im Gegenlicht der untergehenden
Sonne ragte der Wald als düstere Silhouette vor ihm auf. Rolo verschwand
zwischen den Bäumen. Augenblicklich verlor er die Lichter der Stadt aus den
Augen. Er hörte nur seinen eigenen Atem. Die Äste der Bäume schlugen ihm ins
Gesicht. Meine Mutter ist eine irre Zauberin. Wieso tischte man mir solche
Märchen auf? Und wenn es die Wahrheit ist? Tränen nahmen ihm die Sicht. Errannte, so schnell er konnte. Ein unachtsamer Schritt. Mit einem
überraschten Laut stürzte er kopfüber den Hang hinab. Er spürte den unebenen
Untergrund. Spürte, wie dornige Büsche ihm die Kleider zerrissen.

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