Der Sommer der Vergessenen (German Edition)
her ist, bekommen sie es bei jeder Gelegenheit unter die Nase
gerieben. Aber sie waren es, die die Farralot einst gründeten.“
„Hwarf
erzählte mir von der Schule. Aber von Zauberei sagte er nichts.“
„Das wundert
mich nicht. Aber neben den Neolinga und den Handwerkern werden auch noch Zauberer
ausgebildet. In der Siebten wirst du dann ein Meisterschüler in einem Handwerk,
ein Nachtwehrer oder eben ein Zauberlehrling.“
„Der
absolute Wahnsinn! Kann man auch kämpfender Bäcker werden? Oder ein zaubernder
Krieger? Das wäre doch irre.“ Belenus lachte. „Nein, das geht nicht. Nach der
Schule geht die Ausbildung ja erst richtig los. Du kannst ja nicht gleichzeitig
bei den Neolinga sein und beim Bäcker Blume. Und, glaub mir, es ist schon
schwierig genug, das eine oder das andere richtig zu erlernen.“
„Die
Anforderungen sind hoch, mein Junge. Es muss gut überlegt sein, welchen Weg der
Schüler einschlägt. Kochen, Schmieden oder Schnitzen, das sind Künste, die du
nicht nebenbei erlernst. Wie auch der Kampf oder die Magie. Großes Können
erfordert viel Fleiß und Geduld.“
Rolo
schwirrte der Kopf. Er vergaß sogar das Essen und wandte sich an seinen Vater.
„Und du hast
mir nie davon erzählt.“ Der Vorwurf war unüberhörbar.
„Roland,
lass mich erklären. Natürlich muss sich das alles für dich unglaublich spannend
anhören. Aber ich bin dein Vater. Ich mache mir doch auch Gedanken um deine
Zukunft. Seien wir ehrlich. Wir wissen beide, dass du dich nicht für ein
Handwerk entschieden hättest. Und was möchtest du beruflich machen als
ausgebildeter Neolinga? Außerhalb des Nachtschattentals?“
Rolo schaute
Hilfe suchend zu Tante Farrah. Aber die erwarteten Einwände blieben aus.
„Neunseen
ist wie eine Insel. Die Welt hat sich weiter gedreht ohne das Nachtschattental.
Ich wollte dir ein Leben in einer sehr kleinen Welt ersparen. Verstehst du?“
„Dein Vater
hat nicht unrecht, Rolo. Und aus seiner Sicht hat er richtig gehandelt. Sei ihm
nicht böse. Es ist wirklich schwierig für die Neunseener, wenn sie das Tal
verlassen. Und vielen jungen Leuten wird es irgendwann zu eng hier. Dir steht
die ganze Welt offen dank der Entscheidung deines Vaters.“
„Genau, du
sagst es, Tante Farrah. Es war die Entscheidung meines Vaters. Hätte es nicht
meine sein sollen?“
„Es ist doch
nicht zu spät“, beschwichtigte Belenus. „Du bist erst dreizehn Jahre alt. Und
jetzt bist du doch hier.“ Er klopfte Rolo aufmunternd auf die Schulter.
„Gibt es
noch mehr Familiengeheimnisse, von denen ich wissen sollte? Was ist mit Mama?“
Sein Vater
und Tante Farrah wechselten verstohlene Blicke. „Was noch?“ Rolo sprang auf.
„Mein Sohn,
setz dich!“, forderte sein Vater, aber Rolo blieb stehen.
„Was ist mit
Mama?“
„Grellon,
erzähl es ihm“, sagte Tante Farrah.
„Erzähl ihm
was? Was ist denn hier los?“ Rolo kochte.
„Mein Sohn,
ich erklär es dir. Aber, bitte: Setz dich hin!“ Rolo setzte sich, und sein
Vater begann mit ruhiger Stimme. „Wir haben uns jetzt ja bereits mit dem
Gedanken angefreundet, dass es Magie gibt. Wie du dir bestimmt vorstellen
kannst, ist das eine große Macht, die man nicht nur zum Guten anwenden kann.
Ich meine, wer einen heilenden Trank herstellen kann, der könnte ja auch einen
vergiftenden brauen. Ich lernte deine Mutter an der Universität kennen. Als ich
zum ersten Mal mit ihr nach Hause fuhr, hier nach Neunseen.“ Er stockte,
lächelte, und seine Augen starrten ins Leere. „Es hat lange gedauert, bis deine
Mutter mich mit hier hernahm. Ich dachte, es wäre ein Scherz. Oh Mann, meine
Eltern waren Naturwissenschaftler. Und dann so was. Kam mir vor wie ein nie
enden wollendes Halloweenfest. Nichts für ungut“, fügte er an Tante Farrah und
Belenus gerichtet hinzu.
Die beiden
lächelten milde.
„Tante
Farrah hat mir damals alles hier sehr behutsam erklärt. Dafür bin ich ihr bis
heute sehr verbunden. Du musst wissen, Roland, nicht viele Neunseener wagen den
Schritt, eine Universität außerhalb des Gebirges zu besuchen. Deine Mutter war
eine ungemein mutige Frau.“
„Ist sie
auch zur Farralot gegangen?“, fragte Rolo. „Natürlich ist sie das. Wie jeder
hier“, sagte Paps.
„Und war sie
…?“
„Sie war
eine Zauberin“, sagte Tante Farrah. „Und sogar eine äußerst begabte.“
„Allerdings
war sie auch interessiert daran, über den Tellerrand hinaus zu schauen. Sonst
hätten wir uns wohl nicht getroffen. Wir verbrachten
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