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Der Sommer des Commisario Ricciardi

Der Sommer des Commisario Ricciardi

Titel: Der Sommer des Commisario Ricciardi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maurizio de Giovanni
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offenkundigen Mängel an ihr festzustellen waren. Sie hatte kastanienbraunes Haar, eine helle Haut, schöne große, sanfte Augen. Ihr Gesicht – das sahen sowohl Maione als auch Ricciardi – war vom Leid gezeichnet, unter den Augen und um den Mund herum befanden sich tiefe Falten.
    In jenem Augenblick aber strahlte die Frau wie von innen erleuchtet. Sie fixierte ihren Mann mit einem angedeuteten Lächeln und einem Ausdruck bedingungsloser Ergebenheit, die schon fast etwas Unanständiges hatte.
    Capece wirkte in der Tat eindeutig verlegen und wandte den Blick von ihr ab. Er sprach zu den beiden Polizisten, ohne seine Frau zu begrüßen.
    »Das ist Sofia, meine Frau. Die Herren sind Commissario Ricciardi und Brigadiere Maione. Sie sind hier, um … um ein paar Fragen zu stellen.«
    Fast eine Minute verging, ohne dass die Frau aufhörte, ihren Mann anzustarren; dieser wiederum schaute zu Ricciardi, und Maione sah zu Boden. Der Kommissar seinerseits beobachtete weiterhin Sofias verzückten Gesichtsausdruck und dachte, wie schön es sein musste, eine Frau zu haben, die einen so ansah. Er überlegte auch, wie stark die Leidenschaft sein musste, die jemanden von einem solchen Blick wegtrug. Schließlich schien die Frau sich zu besinnen, streichelte das Mädchen am Kopf und sagte zu ihm:
    »Liebes, geh jetzt in dein Zimmer spielen. Ich komme dann zu dir.«
    Das Mädchen knickste noch einmal und ging. Ricciardi fragte:
    »Ist sie Ihr einziges Kind?«
    Sofia kam ihrem Mann zuvor, sie lächelte stolz:
    »Giovanna hat noch einen älteren Bruder, Andrea. Er ist beim Unterricht, obwohl noch Ferien sind. Ein intelligenter und gewissenhafter Junge, wie sein Vater. Er müsste bald nach Hause kommen.«
    Die drei Männer schauten sich peinlich berührt an, obgleich keine Ironie in den Worten der Frau zu liegen schien, die sogar weiterhin ihren Mann anlächelte, als ob dies für sie die normalste Situation der Welt sei. Noch einmal fragte sich Ricciardi, wie lange die beiden sich wohl nicht gesehen hatten und warum die Frau ihrem Mann gegenüber keinerlei Bitterkeit zeigte. Capece seinerseits schien nicht aus seinem dumpfen Schmerz heraustreten zu wollen: Sein Gesicht und die schmutzigen, zerknitterten Kleider trugen noch die Spuren des Weins und einiger schlafloser Nächte.
    »Bitte, Ricciardi. Folgen Sie mir, setzen wir uns ins Wohnzimmer.«
    Die Wohnung, zumindest der Teil, den sie sehen konnten, war aufgeräumt und sauber: Alles stand an seinem Platz, es roch nach Lavendel, Vorhänge und Gardinen hatten weder Falten noch Risse; allerdings wirkten die Räume leblos und unbewohnt, wie das Resultat einer sorgfältig erledigten Hausaufgabe, nicht wie ein Ort, an dem eine Familie lebte.
    Sie setzten sich ins Wohnzimmer. Sofia ließ keinerlei Aufregung erkennen; dabei hatte ihr Mann die beiden Gäste als Polizisten vorgestellt und sie musste wissen, was geschehen war und wovon die ganze Stadt sprach. Ricciardi versuchte, die Haltung der Frau zu interpretieren. Sie hatte sich neben ihrem Mann aufs Sofa gesetzt.
    »Signora, bitte entschuldigen Sie den Überfall. Wie Sie vielleicht gehört haben, ist ein Unglück geschehen. Es gab einen Todesfall: die …«
    »Herzogin von Camparino, sicher, ich weiß davon. Man redet ja weit und breit von nichts anderem. Ich weiß auch, dass die Signora eine Bekannte meines Mannes war; erhalf ihr dabei, ihre Memoiren zu verfassen. Sie trafen sich aus geschäftlichen Gründen. Die Zeiten sind schwer, wie Sie wissen. Ein Mann, der möchte, dass es seiner Familie an nichts fehlt, ist oft gezwungen, mehr als einer Arbeit nachzugehen. Und mein Mann ist so tüchtig, er bemüht sich redlich. Er ist ein wundervoller Ehemann und Vater.«
    Sofias Tirade mündete in ein peinliches Schweigen. Maione betrachtete versunken eine kleine Keramikfigur, als hätte diese das eben Gehörte gesprochen. Capece starrte seine Frau durchdringend und mit einem Ausdruck zwischen Grauen und Mitleid an. Ricciardi nickte.
    »Ich verstehe. Da Ihr Mann jedoch zu den letzten Personen gehörte, die die Herzogin lebend gesehen haben, müssen wir Nachforschungen anstellen, um herauszufinden, ob ihm etwas bekannt ist, das uns bei den Ermittlungen helfen könnte. Können Sie und Ihre Familie mir sagen, wo Sie sich in der Nacht von Samstag auf Sonntag befanden?«
    Sofia schien zuerst verwirrt, dann lachte sie laut los.
    »Wo sollten wir schon gewesen sein? Hier natürlich. Wie immer. Die Kinder in ihrem Zimmer und mein Mann und ich in unserem.

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