Der Sommer des Commisario Ricciardi
ihm zufällig etwas eingefallen wäre, und sagte:
»Ach, Capece, eine Bitte noch: Der Ring, Sie wissen schon. Der vom Salone Margherita. Halten Sie ihn für uns zur Verfügung, er ist ein Beweisstück.«
Nicht ohne das Funkeln in Sofias Augen bemerkt zu haben, verabschiedete er sich und ging.
Auf dem Rückweg dachte Ricciardi über den Besuch bei den Capeces nach: Mancher Blick, manches Einvernehmen, Spannungen, die ihm vor einem Monat vielleicht gar nicht aufgefallen wären, schienen ihm jetzt offensichtlich zu sein. Sie veränderten das Bild, das er sich bisher zusammengesetzt hatte. Maione, der sich in einem fort die Stirn mit dem Taschentuch trocknete, unterbrach das Schweigen:
»Was halten Sie von dem ganzen Theater um die Pistole, Commissario? Die gespielte Überraschung: ›Ach herrje, wo ist das Spielzeug denn bloß abgeblieben? Bis vor ein paar Jahren lag sie doch hier, wir erinnern uns genau, weiß der Himmel, welche Dienstmagd sie geklaut und verscherbelt hat!‹«
Ricciardi konnte sich keinen Vers darauf machen.
»Wäre es nicht einfacher gewesen zu sagen, dass es keine Pistole gibt? Wir hätten sie bei der Durchsuchung nicht gefunden und fertig. Ich weiß nicht so recht. Ich glaube eher, dass sie sich nicht abgesprochen hatten. Die beiden haben sich so schief angesehen, jeder denkt, dass der andere sie hat verschwinden lassen. In jedem Fall verteidigt die Familie den Mann, das ist zumindest sicher.«
Maione versuchte im Schatten zu bleiben, um die Hitzeschäden zu begrenzen. Zwei große Schweißflecke breiteten sich in den Achselhöhlen seiner hellen Jacke immer weiter aus.
»Für mich steht fest, dass die Pistole immer noch im Haus ist und Capece kein Alibi hat. Wir wissen doch, dass die Signora lügt, wenn sie behauptet, dass ihr Mann Samstagnacht zu Hause geschlafen hat. Der schläft seit Jahren nicht mehr bei ihr, sag ich Ihnen. Außerdem hat er uns selbst erzählt, dass er nach dem Streit durch die Tavernen gezogen ist.«
»Das stimmt; aber jetzt müssen wir es beweisen. Wenn Frau Capece bei ihrer Aussage bleibt und ihr Mann beschließt, die Hilfe anzunehmen, sind wir machtlos. Wir müssen alle Möglichkeiten in Betracht ziehen, die Zeit drängt. Geh nach Hause und zieh wieder deine Uniform an, in diesen Kleidern erkenne ich dich nicht wieder. Wir sehen uns im Präsidium.«
»Und Sie, Commissario?«
»Ich muss etwas überprüfen. Bis später.«
Du siehst ihn draußen rauchen. Wie er es vor Ewigkeiten getan hat, als ihr noch eine Familie wart. Manchmal ging er raus auf den Balkon und du fragtest dich, welchen Gedanken er dort wohl nachhing. Er ist ein Mann, dachtest du. Er muss auch mal allein sein.
Dann warst nur noch du allein. Tage und Nächte verbrachtest du damit, dich zu fragen, wo er ist, was er dort macht. Und hattest Angst vor den Antworten.
Als die beiden Polizisten wieder gingen, hat er kein Wort gesagt. Du hattest dir schon alle Antworten zurechtgelegt, warst bereit, ihm wieder eine Chance zu geben. Du dachtest, wenn du ihn verteidigst, wenn du zu ihm hältst, würde es ihm die Augen öffnen und er würde erkennen, wie dieses Biest ihn Jahre zuvor verhext hat. Er hat ja schließlich noch eine Familie. Eine Ehefrau. Du dachtest, er würde dir danken, dich tränenüberströmt umarmen. Dich womöglich wegen der Gefahr tadeln, in die du dich begeben hast, um ihm zu helfen. Stattdessen hat er sich auf dem Balkon verschanzt, dir den Rücken zugekehrt, dich nicht mal angesehen. Es macht dir nichts aus, so ist er eben.
Du hast es nicht deshalb getan, wolltest weder Dank noch Mitleid von ihm. Du hast es getan, weil du ihn immer noch liebst, weil er der einzige Mann in deinem Leben ist, der Vater deiner Kinder. Weil du ihn nicht verlieren darfst, nur weil er einen Fehler gemacht hat.
Auch wenn dieser Fehler ein Vergehen war.
Nachdem er sich von Maione getrennt hatte, ging Ricciardi zunächst in Richtung Polizeipräsidium. Erst als er sicher war, dass der Brigadiere ihn nicht mehr sehen konnte, bog er ab und lief Richtung Largo della Carità.
Er hätte nicht sagen können, warum er seinen Freund aus diesem Teil der Ermittlungen noch heraushalten wollte. Vielleicht, überlegte er, weil er sich dabei mehr auf Eindrücke als auf konkrete Fakten stützte; vielleicht auch wegen der Gefahr, in die er sich womöglich begab. Oder weil er die Sache nach dem mit Livia erlebten Überfall als Privatangelegenheit betrachtete.
Der Kommissar erinnerte sich an ihren gemeinsamen Abend
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