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Der Sommer des Commisario Ricciardi

Der Sommer des Commisario Ricciardi

Titel: Der Sommer des Commisario Ricciardi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maurizio de Giovanni
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voraus und schloss dann die Bürotür hinter ihnen. Das Zimmer lag im Halbdunkel, die Fensterläden waren angelehnt; das Mobiliar bestand aus einem Schreibtisch und zwei Stühlen. Deckenhohe Regale, die voller beschrifteter und nummerierter Ordner standen, säumten die Wände. Gegenüber der Tür, durch die sie hereingekommen waren, sah Ricciardi eine weitere geschlossene Tür, über der ein Porträt Mussolinis mit Helm hing.
    Der Mann hatte sich hingesetzt und wies seinem Gast den anderen Stuhl an. Er schaute den Kommissar eindringlich aus seinen kleinen blauen Augen an; sein Blick verriet keine Gefühlsregung. Nach einer Minute begann er zu sprechen:
    »Nun, Ricciardi, Luigi Alfredo, seit etwa drei Jahren Kriminalkommissar beim mobilen Einsatzkommando. Geboren in Fortino, in der Provinz Salerno, vor einunddreißig Jahren. Vollwaise. Sie sind ein merkwürdiges Subjekt, wissen Sie? Steinreich, Großgrundbesitzer, beträchtliche Einkünfte. Und doch arbeiten Sie für ein paar Lire bei der Polizei und legen nicht einmal Wert darauf, Karriere zu machen. Ein interessanter Mann, würde ich sagen.«
    Ricciardi fixierte seinen Gesprächspartner, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken. Dem Akzent nach stammte der Mann aus dem Norden, vielleicht aus Ligurien oder dem Piemont; sein Ton war kalt und distanziert, wie der eines Wissenschaftlers, der eine Vorlesung hält.
    »Sie wissen, wer ich bin. Ich bin beeindruckt und fühle mich geschmeichelt durch so viel Aufmerksamkeit. Dürfte ich Sie im Gegenzug darum bitten, mir zu sagen, wer Sie sind?«
    »Mein Name ist Pivani, Achille Pivani. Ich bin … sagen wir … ein Parteifunktionär, der vorübergehend in Ihrer schönen Stadt zu Gast ist.«
    Wieder schwieg er, trommelte leicht mit den Fingern auf die Schreibtischplatte. Er saß kerzengerade, ohne mit dem Rücken die Stuhllehne zu berühren. Auf seiner Schläfe zuckte ein Muskel, als kaute er mit leerem Mund, ohne den Unterkiefer zu bewegen. Nach einer Weile fragte er Ricciardi:
    »Darf ich erfahren, warum Sie hier sind?«
    Der Kommissar verzog das Gesicht.
    »Ach was? Sie wissen alles über mich und doch ist Ihnen entgangen, was ich Ihren Affen da draußen gerade erst gefragt habe?«
    Pivani schüttelte den Kopf.
    »Ich muss mich für sein Benehmen entschuldigen, auch wenn ich nichts damit zu tun habe, das dürfen Sie mir glauben. Mastrogiacomo … einige unserer Aktivisten wollen mir gewissermaßen gefällig sein. Und tun daher Dinge, die ihrer Veranlagung entsprechen. Sie sind wie ungezogene Bengel.«
    Armselige Narren, dachte Ricciardi.
    »Nein, Pivani. Das sind keine ungezogenen Bengel, das sind Kriminelle. An ihren Händen klebt Blut. Ich meine nicht, was mir gestern Abend passiert ist, sondern das, was sie jeden Tag und mit zunehmendem Selbstbewusstsein tun. Und Sie sind es, die ihnen dieses Selbstbewusstseinverleihen, Sie und Ihresgleichen. Sie wissen, dass Sie zumindest mitverantwortlich sind. Wenn nicht sogar die Rädelsführer.«
    Die Worte des Kommissars, obgleich leise gesprochen, kamen schonungslos und unerwartet. Pivani schlug die Augen nieder. Er schien nachzudenken, dann räumte er ein:
    »Sie haben recht. Ich habe auch die Parteispitze darauf hingewiesen, dass sie zum Problem werden können. Sie müssen wissen, dass auch eine edle und ehrenwerte Idee wie der Faschismus in der Hand irgendeines Tölpels zu einer Waffe werden kann, mit der alte Rechnungen beglichen werden. Es ist schon anderswo passiert, nun passiert es auch hier. Aber es entspricht nicht unserer Absicht, glauben Sie mir. Wenn wir von so etwas hören, bringen wir es in Ordnung.«
    Ricciardi hatte nicht vor, sich verständnisvoll zu zeigen.
    »Dann sollten Sie wissen, dass Ihr Mastrogiacomo und seine Freunde den Arbeitslosen in der Via Emanuele Filiberto ermordet haben. Fragen Sie mich nicht, woher ich das weiß, aber ich weiß es. Auch wenn es keine Beweise gibt und nicht einmal eine Anzeige.«
    Pivani beugte sich vor und kniff die Augen zusammen.
    »Sind Sie sicher? Absolut sicher?«
    Ricciardi nickte. Der Mann nahm eine Feder zur Hand, tauchte sie in die Tinte und schrieb etwas auf ein Blatt Papier.
    »Ich kümmere mich darum, Commissario. Ich bin nicht hier, um Blut zu vergießen.«
    »Und wozu sind Sie hier? Außer, um Kultur und Ordnung zu bringen, versteht sich?«
    Pivani ließ sich nicht anmerken, ob die Ironie der Bemerkung bei ihm angekommen war.
    »Meine … Organisation soll die Feinde der Partei ausfindig machen. Betrachten Sie mich

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