Der Sommer des glücklichen Narren
Rosalind. »Es ist schon so weit, daß sie mir auch noch frech kommt. Kaum ist sie einen Tag bei dir, ist sie restlos verwildert.«
Langsam begann ich auch die Ruhe zu verlieren, um die ich mich bis dahin bemüht hatte.
»Bitte, Rosalind«, sagte ich scharf, »wenn du hergekommen bist, um eine Szene zu machen, dann fährst du am besten gleich wieder ab. Meiner Ansicht nach ist Lix zu groß, um mit Ohrfeigen traktiert zu werden, ob sie nun von dir kommen oder von deinem zukünftigen Mann. Und ich bin außerdem der Meinung …«
»Deine Meinung interessiert mich nicht«, rief Rosalind wild, »du hast dich ja blendend aus der Affäre gezogen. Du bist aller Verantwortung ledig. Du kümmerst dich weder um deine Frau noch um dein Kind, sondern amüsierst dich mit fremden Weibern. Und sich dann aufblasen und weise Worte sprechen, darauf kann ich gern verzichten. Das merke dir. Wenn es nach dir ginge, dann brauchten wir beide nicht mehr auf der Welt zu sein, Lix und ich. Du empfindest es offenbar bloß noch als eine Belästigung, wenn man dich in deinem Amüsierbetrieb stört. Du …« Und so ging es noch eine Weile weiter. Es war Rosalind, meine süße, kleine Rosalind von ihrer übelsten Seite.
Nun – ich kannte ihr Temperament. Ich hatte schon manche Szene erlebt. Diese hier war wirklich nicht schön. Und am wenigsten schön war dabei, daß unsere Tochter das alles mit anhörte.
Lix hatte nämlich aufgehört zu weinen und betrachtete ihre zornige Mutter mit weitaufgerissenen Augen.
Ich zwang mich zur Ruhe, zündete mir eine Zigarette an und stellte mich mit dem Rücken zum Fenster. Es hatte wenig Zweck, Rosalind zu unterbrechen. Sie würde sowieso nicht aufhören, ehe sie nicht alles gesagt hatte, was sie auf dem Herzen hatte. Wenn ich dazwischenredete, zögerte ich nur das Ende des Auftritts hinaus. Ich kannte das aus Erfahrung. Es würde nicht lange dauern. Sie verschoß ihr Pulver immer sehr rasch, und dann verließen sie die Nerven.
So war es auch diesmal. Nachdem sie mir alles an den Kopf geworfen hatte, was ihrer Meinung nach gegen mich sprach, was ich mir jetzt und früher hatte zuschulden kommen lassen, sank sie neben Lix auf das Sofa und begann ihrerseits zu weinen. Laut und ungebärdig wie ein verzweifeltes Kind.
Lix, die ihren Zorn über die Ohrfeige vergessen hatte, legte den Arm um Rosalind und weinte noch ein bißchen zur Gesellschaft mit. Ich holte die Kognakflasche, warf einen vorsichtigen Blick aus dem Fenster, Gott sei Dank, die drei saßen friedlich vereint drüben am Waldrand, Jessica graste neben dem Haus, und wandte mich wieder meinen familiären Problemen zu.
Ich zog mir einen Stuhl an das Sofa und setzte mich vor die beiden unglücklichen Kinder hin. Denn was war denn Rosalind anderes als ein großes, dummes Kind, eitel und gefallsüchtig, schwach und liebebedürftig, gleich heftig im Zorn wie in der Freude. Und glücklich war sie nicht, das erkannte ich nun. Denn Lix' Auftritt mit dem Generaldirektor war schließlich kein Weltuntergang und verdiente nicht so viel Gemütsbewegung.
»Einen Kognak?« fragte ich, als der Tränenstrom zu versiegen begann. Ich schenkte ein, auch Lix bekam einen kleinen Schluck, wir tranken, Rosalind kramte in ihrer Tasche nach einem Taschentuch, ich fragte: »Zigarette?«, und als sie nickte, zündete ich ihr eine an.
Doch als ich sie ihr reichen wollte, nahm sie nicht die Zigarette, sondern schlang beide Arme um meinen Hals, versteckte ihr Gesicht an meiner Schulter und weinte noch ein bißchen weiter.
Ich hielt Lix die brennende Zigarette hin, sie nahm sie mir ab, und ich hatte nun beide Hände frei, um Rosalind beruhigend in den Arm zu nehmen und zu streicheln.
Lix saß derweil auf dem Sofa, mit ernster Miene, und hielt mit steifen Fingern die Zigarette fest, die langsam verglühte. Auf diese Weise gelangten wir nach einiger Zeit zu dem Punkt, an dem sich das Gespräch weiterführen ließ.
Es begann damit, daß Rosalind mit einem letzten Schluchzer an meinem Ohr sagte: »Ach, Dodo, ich bin so unglücklich.«
»Aber liebes Kind«, sagte ich in väterlich tröstendem Ton, »warum denn eigentlich? So welterschütternd ist die Geschichte nun doch auch wieder nicht. In den besten Familien gibt es einmal Krach. Und wenn man heranwachsende Kinder hat, kommt es immer wieder mal zu Ärger. Das wird Herrn Killinger nicht unbekannt sein. Schließlich hat er selbst eine Tochter. Lix wird sich bei ihm entschuldigen, und er wird die Angelegenheit vergessen. Und
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