Der Sommer des glücklichen Narren
Stimme.
Rosalind drehte sich wütend zu ihr um. »Ich fahre nicht ohne dich zurück, daß du es weißt.«
»Und ich fahre nicht mit. Du kannst mich nicht zwingen. Ich bleibe bei Paps.«
Erbittert starren sich Mutter und Tochter an.
»Dann bleibt sie eben vorerst hier«, sagte ich begütigend. »Später werden wir weitersehen.«
»Lix ist mir zugesprochen«, rief Rosalind. »Du kennst das Urteil.«
Ich blickte sie ruhig an. »Rosalind, sei nicht kindisch. Du kannst Lix nicht zwingen. Und vielleicht ist es deinem Konrad lieber, wenn er sie eine Weile nicht um sich hat. Wenn ihr dann mal verheiratet seid, ist deine Situation günstiger. Dann kannst du sicher eine Versöhnung arrangieren. Apropos – wann wird denn nun geheiratet?«
Rosalind nagte an ihrer Unterlippe. »Anfang September«, sagte sie knapp.
»Das ist ja nicht mehr lange hin. Und so lange kann Lix wirklich hierbleiben. Wenn sowieso nächste Woche die Ferien anfangen, versäumt sie nichts. Und bis zum September sieht alles anders aus.«
»Ich gehe nicht zurück. Nie«, kam es wieder von Lix.
»Lix, das wird langweilig«, sagte ich. »Wir kennen deine Meinung. Es ist nicht nötig, daß du immer wieder dasselbe sagst. Wir werden darüber sprechen, wenn es soweit ist.«
»Nie«, wiederholte Lix, etwas leiser, aber nicht minder entschlossen. Komisch, wie sich so was vererbt. ›Nie‹ war immer ein Lieblingswort von Rosalind gewesen. Es gab so viel, was sie ›nie‹ tun wollte. Aber bei ihr war das ›Nie‹ nie sehr ernst zu nehmen, möglicherweise bei Lix auch nicht.
Rosalind hatte schon wieder eine neue Zigarette angezündet. Ich sah, daß ihr Hand zitterte. Fast tat sie mir leid. Nein, sehr glücklich schien sie nicht zu sein.
»Wir wollten nächste Woche ins Tessin fahren«, sagte sie leise, »gleich wenn die Ferien angefangen haben. Lix, Dolly und ich. Konrad wollte im August nachkommen. Lix, du hattest dich doch so auf die Reise gefreut.« Lix schwieg verbockt. Fast bittend sprach Rosalind nun zu ihrer Tochter. »Lix, das hübsche Haus am Wasser. Und der Luganer See ist ganz warm. Du kennst das doch alles nicht. Wir werden so viel sehen, die ganze Schweiz wirst du kennenlernen. Wir können schöne Ausflüge machen. Und du kannst jeden Tag schwimmen.«
»Das kann ich hier auch«, sagte Lix abweisend. »Und hier gefällt es mir viel besser. Und am Luganer See ist im Sommer ein irrsinniger Betrieb, hat Fräulein Behrends gesagt. Geradezu gräßlich sei es. Nichts wie Autos und Menschen und Lärm. Und das Wasser ist viel zu warm.«
»Fräulein Behrends?« fragte Rosalind irritiert.
»Hat sie gesagt. Sie war schon mal dort. Ihr gefällt es besser am Chiemsee, hat sie gesagt.«
»Wer, um Himmels willen«, warf ich ein, »ist denn nun wieder Fräulein Behrends? Deine Lehrerin?«
»Quatsch. Fräulein Behrends ist die Sekretärin.«
»Sag nicht Quatsch, wenn du mit mir redest«, fuhr ich Lix an. Sie war wirklich etwas unzivilisiert. War mir früher gar nicht aufgefallen.
»Entschuldige, Paps«, sagte Lix artig, denn offensichtlich lag ihr daran, sich mit mir gut zu stellen.
»Die Sekretärin von Konrad«, erläuterte mir Rosalind. »So, die war im Tessin?« Das klang enttäuscht. Offenbar verband Rosalind mit diesem Landstrich gewisse soziale Maßstäbe.
»Und du hast selber gesagt«, fuhr Lix fort, »das Haus ist eine miese kleine Bude, und du kannst nicht verstehen, warum er das gekauft hat für das viele Geld. Und es ist gar nicht direkt am Wasser, hast du mir gesagt, und es ist furchtbar steinig dort, und das Grundstück ist winzig, man kann sich kaum im Garten umdrehen. Und wenn man baden will, muß man über die Straße, und ein richtiger Strand ist es auch nicht, nur gerade so zwei Stufen ins Wasser und gleich daneben flitzen die Autos vorbei. Wo das schön sein soll, möchte ich auch mal wissen. Hier ist es doch viel schöner. Hier habe ich einen See ganz für mich allein. Und Platz, soviel ich will. Einen ganzen Wald für mich. Und so viele Leute sind auch nicht da.«
»Wenn du dich da nur nicht täuschst«, sagte Rosalind bissig. Sie war sehr verärgert, und sie sah mich nicht an.
Das Haus im Tessin war ihre ganze Wonne und ihr ganzer Stolz. Konrad, der Killinger, hatte es erst im vergangenen Jahr gekauft. Und Rosalind betrachtete den Besitz eines Hauses im Tessin als den endgültigen Beweis dafür, daß sie nun zur oberen Sahneschicht der Gesellschaft gehören würde. Als sie im Frühjahr einmal kurz dort gewesen war, es war
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