Der Sommer des glücklichen Narren
nach. Am Tor vom Gutshof blieb sie stehen, wandte sich noch einmal und winkte. Ich winkte auch. Dann schwang ich mich auf mein Rad und fuhr los, eine kleine Wehmut und eine große Freude im Herzen.
Die kleine Fürstin! Auch sie gehörte in diesen verrückten, närrischen und seligen Sommer hinein.
Was für ein Sommer! Er war voller Überraschungen und Torheiten, ein Sommer mit Sonne und Gewitter, mit Regen und Wind, mit Glück und Traurigkeit. Ein Sommer des Abschieds und des Beginns.
Es begann wieder zu regnen, sanft und stetig, gerade eine Stunde hatte es mal aufgehört. Ich strampelte durch den Regen und sang ein närrisches Lied mit einer närrischen Melodie, die auf und ab tanzte. Das Lied dieses Sommers, die Melodie von Sonne, Regen und Wind, von Glück und Traurigkeit. Süßes Sommerlied! Wie schön das Leben war! Wie glücklich ich war!
Warum eigentlich? Schwer zu sagen. Ich war es nun mal. Ich kam mir vor, als ob ich zwanzig wäre. Aber gerade weil ich nicht zwanzig war, sondern doppelt so alt, war alles auch doppelt so schön. Eine kleine Fürstin küßte mich. Zuvor hatte mich eine Frau verlassen, die ich geliebt hatte, doch dann war ein blondes Mädchen gekommen, das bei mir bleiben wollte. Ich war alles gewesen in diesem Sommer, was man nur sein konnte: traurig und einsam und verlassen. Glücklich und verliebt, voller Hoffnung und voller Verzagtheit, voller Übermut und voller Bedachtsamkeit. Es war kein Lied, es war eine ganze Symphonie, was dieser Sommer mir bescherte. Dur- und Molltöne in buntem Wechsel, und ich liebte diese Musik. Ich liebte dieses Land, durch das ich gerade fuhr, auch im Regen liebte ich es, so grün und saftig und atmend. Ich liebte den Himmel über mir, auch wenn er grau war von schweren dunklen Wolken. Ich liebte meine Frauen, die, die mich verlassen hatte, und die, die neu gekommen war, und die kleine Fürstin, und meine ungeratene Tochter, und meine schönen, klugen Tiere, und immer wieder und vor allem liebte ich das Leben, auch wenn es mich einmal zauste und schüttelte. Ich war vielleicht ein Narr, aber ein seliger und verliebter und glücklicher Narr. Dieser Sommer, der so närrisch und außer Rand und Band war, zeigte es wieder einmal ganz deutlich, wie närrisch auch ich war. Den Tag zu lieben, auch wenn er grau war; den Himmel zu lieben, auch wenn es regnete; die Frauen zu lieben, auch wenn sie mich verließen, und glücklich zu sein, mit dem, was mir blieb und was ich bekam. Gab es hinter dem Horizont ein Land oder eine Welt, ein Reich oder ein Glück, die es zu erobern galt? Es war mir gleichgültig. Hier war mein Land und meine Welt, mein Reichtum und mein Glück. Hier wollte ich bleiben.
Noch eine Abreise
Steffi und Lix vertrugen sich recht gut, nicht zuletzt deswegen, weil Lix sich außerordentlich gesittet benahm. Rosalind war noch einmal herausgekommen, hatte Lix einige Sachen zum Anziehen gebracht und ihre Schulbücher. Keiner von uns hatte einen Kommentar dazu gegeben, aber Lix setzte sich freiwillig gelegentlich über ihre Bücher und tat jedenfalls so, als arbeite sie. Von früher wußte ich, daß sie viel Interesse an Naturwissenschaften hatte. Ob es Biologie war, ob Botanik oder Zoologie, sie war in diesen Dingen gut bewandert. Besser als ich. Und sogar in Physik hatte sie erstaunliche Kenntnisse, obwohl sie über die Anfangsgründe noch nicht hinaus war. Ich war ein reiner Ignorant in diesen Dingen und hörte ihr stumm zu, wenn sie anfing, davon zu reden. Steffi dagegen blätterte einmal in den Englischheften, bemerkte reichlich viel Rotstift in den Übersetzungen und den Diktaten und begann, sich manchmal mit Lix auf englisch zu unterhalten. Nachdem Lix ihre anfänglichen Hemmungen überwunden hatte, plauderten sie ganz fließend miteinander. Auch hier konnte ich nur staunend schweigen. Was ich in der Schule gelernt hatte, war so gut wie vergessen, mir fehlte jedes Talent für Fremdsprachen. Morgens ritten wir drei zusammen, schöne, ruhige Ritte durch das sommerliche Land, denn hier war ich der Könner, die beiden anderen Anfänger. Dann badeten wir zusammen, und den Rest des Tages verbrachte ich meist am Schreibtisch und arbeitete an dem Schwabing-Buch, das mich immer mehr gefangennahm.
Tonis umfangreiches Material zu sichten und geschickt zu verwenden, machte allerhand Mühe. Trotzdem kam ich gut mit der Arbeit voran. Ganz von selbst hatte es sich ergeben, daß Steffi mein Konzept ins reine schrieb, was mir natürlich viel Zeit ersparte.
»Du
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