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Der Sommer des Kometen

Der Sommer des Kometen

Titel: Der Sommer des Kometen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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schob er vorsichtig einige der Bögen zur Seite, um zu sehen, was darauf geschrieben stand. Rosina versuchte über seiner Schulter zu sehen, was er las, aber leider spürte der Arzt Struensees kritisch fragenden Blick und zog seine zu neugierigen Hände zurück. Er wusste, dass sein Altonaer Kollege die Privatsphäre der Patienten aufs höchste respektierte.
    «Nun, er ist nicht hier», sagte Rohding mit einem Räuspern und rieb sich die Hände, «dann müssen wir ihn suchen. Er muss ja irgendwo sein. Am besten, wir fragen Johann Reinhard, der ist hier der Ökonom und kann gewiss helfen.»
    Sie gingen weiter den Gang entlang. Plötzlich blieb Rohding vor einer Zelle stehen. Die Einrichtung war ganz ähnlich wie die Billkamps, allerdings war der Tisch unter dem Fenster bis auf die Wasserkaraffe und einen Holzteller mit ein paar Brocken weißen Brotes leer. Rohding schob die Tür auf. Auch sie war nicht verschlossen, das war bei der Patientin, die darin lebte, offensichtlich auch nicht nötig. Die Frau hockte mit tief gesenktem Kopf auf dem Bett, ihr strähniges blondes Haar war zu ordentlich um den Kopf gewundenen Zöpfen frisiert. Sie hielt ihre hochgezogenen Beine unter dem Rock ihres gelben Seidenkleides mit beiden Armen fest umschlungen, als seien sie der einzige Halt in ihrer Welt. Eine kleine dünne Frau im schlichten grauen Kleid, deren Kopf unter einer weißleinenen Haube fast verschwand, erhob sich rasch aus dem Sessel neben dem Tisch, legte die Bibel hinter sich, ergriff Rohdings Hand und küsste sie.
    «Aber nicht doch, Regina, ist ja schon gut.» Rohding entzog ihr seine Hand, klopfte flüchtig ihren Rücken und wandte sich der Frau auf dem Bett zu. Die rührte sich nicht. Auch eine Statue, dachte Rosina und schämte sich einen kleinen Moment für ihre Neugier.
    «Das ist Regina», erklärte der Arzt, mit einem kurzen Blick auf die alte Frau. Sie sei schon die Amme seiner Patientin gewesen und wolle sie auch hier nicht verlassen. Er sprach von ihr, als wäre sie selbst gar nicht da. Aber das schien Regina nicht zu stören.
    «Es ist immer das Gleiche», sagte sie leise. «Sie sitzt da, will nichts und tut nichts. Sie isst und trinkt auch nichts. Nur wenn ich sie zwinge. Wo sie doch nun glücklich sein sollte, das Kind ist so schön und ganz gesund. Und der Herr, der gute Herr …»
    Sie schluchzte auf und schlug die Hände vor ihr faltiges Gesicht.
    «Es wird schon werden», tröstete Rohding. «Versuche, deine Herrin möglichst oft in den Garten zu bringen. Die Sonne und die Düfte des Sommers sind in solchen Fällen oft heilsam. Wir wollen mit Gottes Hilfe immer hoffen.»
    Aber er klang wenig überzeugt. Die Dame, man möge verstehen, wenn er ihren Namen nun nicht nenne, habe im Februar ihr viertes Kind geboren, erklärte er, und seitdem sei sie nicht mehr sie selbst.
    «Tragisch», murmelte er, «sie hat alles, was eine Frau glücklich machen kann, und wünscht sich nichts als den Tod. Wirklich tragisch.» Man habe sie mit einem Messer über der Wiege gefunden, seitdem sei sie in diesem Haus.
    Rosina wollte nicht länger bleiben und die Kranke betrachten, als sei sie eines der exotischen Tiere, die auf der Leipziger Messe gezeigt wurden. Sie brauchte dringend frische Luft und einen freien, unvergitterten Blick.
    Leise trat sie in den Gang und machte sich auf die Suche nach einer offenen Tür. Der Gang schien endlos, deshalb bog sie in einen anderen ab. Plötzlich hörte sie seltsame Töne. Ein Schaben und Quietschen, vermischt mit einer hündisch jaulenden, aber offenbar menschlichen Stimme. Immer eiliger wurde das Quietschen, immer höher stiegen die Töne der dünnen Stimme. Entsetzt hielt Rosina sich die Ohren zu. Sie hatte schon genug gesehen und gehört, mehr würde sie nicht ertragen. Wie hatte Struensee gesagt? In diesem Haus könne eher ein Vernünftiger zum Wahnsinn als ein Wahnsinniger zur Vernunft gebracht werden. Nun verstand sie ihn.
    Gerade als sie sich umdrehen und den langen Gang zurücklaufen wollte, um endlich dieses Haus des Schreckens, dieses weltliche Fegefeuer zu verlassen, brach die Stimme abrupt ab. Das Quietschen und Schaben wurde langsamer, leiser, und hörte schließlich ganz auf.
    Ihre Neugier hatte ihr von jeher viel Ärger eingebracht, und auch heute war sie größer als ihr Schaudern, also schob sie vorsichtig die nur angelehnte Tür auf, hinter der sie die Ursache der Geräusche vermutete. Der Raum war sehr viel kleiner als die Säle, die sie zu Anfang durchquert hatte,

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