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Der Sommer des Kometen

Der Sommer des Kometen

Titel: Der Sommer des Kometen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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Rosina, gehst du heute noch in die Königstraße? Ich brauche dringend Rot und Blau, vielleicht auch ein wenig Gelb. Aber vor allem Rot für den Abendhimmel. Warum starrt ihr mich alle so an? Habe ich Farbe im Gesicht?»
    Er hatte tatsächlich Farbe im Gesicht, vor allem von dem Rubinrot, das ihm auf den Kulissen fehlte. Selbst Gesine rang sich ein Lachen ab und gab auf.
    «Du hast gewonnen, Manon», sagte sie, «also nehmen wir das Gold. Aber nicht zu viel. Jetzt komm, wir haben keine Zeit, hier herumzustehen. An die Arbeit.»
    Rudolf sah den beiden Frauen und dem Kind, die eilig und schon wieder streitend die Treppe hinunterliefen, verwundert nach. «Habe ich etwas Falsches gesagt?»
    «Nein, das war ganz richtig. Sonst hätten wir uns noch ewig um Manons Kostüm die Köpfe heißreden müssen. Ist eigentlich Sebastian bei dir in der Theaterscheune?»
    Rudolf schüttelte den Kopf. «Nein, der ist gerade zum Pesthof gegangen. Er hat eine Nachricht von Doktor Struensee bekommen und soll ihn gleich wegen dieses Dichters dort treffen.»
    «Aber nicht ohne mich!», rief Rosina ärgerlich, stöpselte eilig das Tintenfass zu, griff nach ihrem Brusttuch und war schon die Treppe hinunter und aus dem Haus.
    Die Farben musste Rudolf sich selber besorgen.
     
    Rosina holte Sebastian schon kurz vor dem Schlachterbudentor ein, und sie setzten ihren Weg gemeinsam fort. Nachdem sie den kleinen Friedhof um die Kirche St. Pauli passiert hatten, verließen sie den Weg und gingen querfeldein über die trockenen Wiesen des Vorlandes. Zwei Bussarde drehten auf der Suche nach einem späten Frühstück hoch über ihnen ihre Kreise. Gerade als sie den Weg an den Reepschlägerhütten erreichten, stürzte sich einer im steilen Flug hinab, und die Mäusekolonie auf dem Hamburger Berg war um ein Mitglied ärmer.
    Rosina sah sich um. Ein paar Schritte hinter der Kirche konnte sie die Hecke des üppigen Gartens voller Sträucher, Blumen und Heilpflanzen erkennen, der zu Mattis Haus gehörte. Rosina dachte an die kleinen, nach Thymian, Minze, Rosmarin und Lavendel duftenden Räume und blieb einen Moment stehen, um die Erinnerung wachzurufen. Sie würde ihr Kraft geben für das, was nun vor ihr lag.
    «Was ist los?», fragte Sebastian. «Warum lächelst du so zufrieden?»
    «Weil ich an Matti und Lies denke. Dort hinter St. Pauli kannst du noch eine Ecke von Mattis Haus sehen.»
    Sebastian nickte. Er kannte sie kaum, aber er hatte viel von der alten Hebamme gehört, der die nicht minder alte Lies seit ihrer Jugend auf ganz besondere Weise verbunden war. Lies hatte sie erst im letzten Frühling wiedergetroffen, und als die Becker’sche Komödiantengesellschaft weiterzog, war sie in Mattis Haus zurückgeblieben.
    «Komm weiter», sagte er, «Struensee wird schon warten.»
    Er hatte jetzt keinen Sinn für alte Geschichten. Ein Haus wie den Pesthof hatte er noch nie betreten. Er war neugierig und dennoch froh gewesen, als er Rosina hinter sich rufen hörte und sie die Bachgasse zum Tor herauflaufen sah. Manchmal wünschte er sich, sie wäre ein wenig sanfter, vielleicht sogar ein wenig anschmiegsamer, sie ermunterte ihn niemals zu mehr als freundschaftlicher Gemeinsamkeit. Doch in ungemütlichen Situationen war sie die beste, die verlässlichste Begleitung, die er sich vorstellen konnte.
    Die langgestreckten Dächer des Pesthofs lagen nun schon vor ihnen und muteten wie ein großes, von alten Bäumen und Buschwerk umstandenes Kloster an. Der beißende Gestank aus den Gräben, die das Grundstück umgrenzten und zugleich als Kloake dienten, hätte allerdings auch die demütigste Klosterfrau vertrieben.
    Struensee und Heiner Rohding erwarteten sie schon vor dem hohen Portal an der Brücke über dem Wassergraben. Diesmal gab es keine Fragen und keine Verbote. Die Wächter dienerten eifrig vor den Ärzten, nahmen keinerlei Notiz von den beiden Komödianten und ließen alle vier passieren.
    Wie Struensee bemühte sich auch Rohding um eine Verbesserung der unchristlichen Zustände in den elenden Häusern, in denen Sieche, Alte und Gestrauchelte eingeschlossen, Fieberkranke jeder Art zusammengepfercht und so die Krankheiten immer weiter- und weitergegeben wurden. Vielleicht, so hatte er Struensee versichert, gab ihm das Schicksal des Dichters wieder eine Gelegenheit zu einer Eingabe an den Senat. Steter Tropfen höhle den Stein, das sei der Satz, mit dem er sich in diesem fast aussichtslosen Kampf immer wieder aufmuntere. Vielleicht sei hier wieder so ein

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