Der Sommer des Kometen
Männer sich über die Beteiligung Hamburger oder Altonaer Kaufleute am Handel mit afrikanischen Sklaven unterhalten. Das schien Kosjans Lieblingsthema zu sein, obwohl er sonst ganz und gar nicht pastoral wirkte. Womöglich suchte er nur eine Möglichkeit, selbst in dieses äußerst lukrative Geschäft einzusteigen. Nur, warum war er dann ausgerechnet nach Hamburg gekommen? In Amsterdam oder Bristol, schon in Kopenhagen käme er da leichter ans Ziel. Aber eigentlich interessierte auch das Bocholt nicht besonders. Er kannte Kosjan ja nicht näher, der hatte sich mit dem Empfehlungsschreiben eines Handelspartners in Bordeaux bei ihm eingeführt, also würde er ihn gastfreundlich behandeln und in der Stadt vorstellen, mehr tat nicht not.
Nun mischte sich Marburger, der Zuckerraffineur vom Dreckwall, in den Lärm. Er habe den Billkamp zwar kaum gekannt, aber der sei doch schon lange als Spintisierer berüchtigt gewesen. Nun sei er tot, und man solle nicht mehr über ihn reden, sondern auf das Heil seiner Seele trinken, möge der Dichter in Frieden ruhen. «Jensen!», brüllte er und bestellte Port für alle. Obwohl einige der Herren im etwas besseren Tuch über die in diesem Kaffeehaus unübliche großtuerische und zudem völlig wahllose Einladung die Nase rümpften, verweigerte doch niemand, eines der Gläser zu leeren, die Jensen und sein Gehilfe eilfertig auf die Tische verteilten.
Danach wurde zwar nicht mehr herumgebrüllt, aber der Tod des Dichters und die Qualität seiner Kunst blieben das Thema des Tages, bis alle wieder in ihren Kontoren verschwanden.
Der Scherenschleifer und die Taubenverkäuferin, die vor dem Kaffeehaus eine kleine Pause von ihren anstrengenden Alltagsgeschäften machten, kümmerten sich allerdings nicht um den Tod des Dichters. Unter dem nervösen Gurren der jungen Tauben, die in der dreibödigen Kiepe der kleinen dünnen Frau saßen und auf ihr Ende in einem Schmortopf oder einer Pfanne warteten, flüsterten sie sich die neuesten Nachrichten von dem Mann im weißen Kleid auf dem Gänsemarkt zu.
Er hatte wieder gesprochen, und was er gesagt hatte, ließ beide erschauern. Ein erstes Zeichen werde gegeben werden, bleich wie der Mond und rot wie der Schweif des Kometen, der da kommen werde, die Ungerechten zu brandmarken. Brandmarken, wisperte die Frau, so wie es die Barbaresken von Algier mit entlaufenen Sklaven taten, wenn sie sie wieder eingefangen hatten.
Donnerstag, den 12. Junius,
am frühen Abend
Doktor Struensee war berüchtigt für seine unermüdliche Energie, für seinen stets hellwachen Geist und seine Ungeduld gegen alles Träge, aber der Tote im Pesthof am Morgen und am Nachmittag der Kampf um ein neues Leben in der Gebärstation im Zuchthaus hatten selbst ihn erschöpft. Die Geburt war schwierig gewesen, aber er hatte es geschafft, er, die Hebamme und vor allem die Mutter. Sie war sehr jung, das winzige Mädchen, das sie nach vielen Stunden der Qual geboren hatte, war ihr erstes Kind, und es würde ohne Vater aufwachsen müssen. Vielleicht auch ohne Mutter, denn die meisten dieser Kinder wurden ins Waisenhaus gebracht.
Er beugte sich über die Waschschüssel und ließ Wasser aus der großen Blechkanne über seinen Nacken laufen. Es war lauwarm, dennoch erfrischte es ihn sofort. Zufrieden bemerkte er den großen Stapel frischgewaschener Leintücher, griff nach dem obersten und trocknete sich ab. Die Hebamme sprach leise mit der Mutter, es klang freundlich, die Schulung der Altonaer Wehmütter zeigte Erfolg. Darauf war er stolz. In diesem Haus kamen keine Hebammen betrunken, mit schmutzigen Händen und stinkenden Kleidern auch nur in die Nähe einer Kreißenden. Das Kindbettfieber, das überall so viele Frauen sterben ließ, war so leicht nicht auszurotten, aber es war nun längst nicht mehr so häufig.
Es war ein langer und harter Kampf gewesen. Am Anfang hatte der Rat ihn einfach nur ausgelacht. Weiber, die ohne Gottes Segen eine Leibesfrucht trugen, gehörten an den Pranger. In vielen Regionen wurden sie ausgepeitscht und aus dem Land verjagt, was beinahe einem Todesurteil gleichkam. War es ein Wunder, wenn manche ihr Kind in der Verzweiflung töteten oder aussetzten? Seit die Gebärstation im Altonaer Zuchthaus diesen armen Jungfrauen offenstand, war in Altona kein Neugeborenes mehr getötet worden. Zwar hieß es immer noch, er schütze und belohne gotteslästerliche Sünderinnen, aber das störte ihn nicht. Auch wenn sie ihm die Hebammenschule nicht anvertraut hatten,
Weitere Kostenlose Bücher