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Der Sommer des Kometen

Der Sommer des Kometen

Titel: Der Sommer des Kometen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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nach Übersee an der Blüte der Stadt größeren Anteil trugen, als je ein Hamburger Kaufmann zugegeben hätte. In Altona hingegen genossen zahlreiche deutsche Juden, Aschkenasim, den Schutz der dänischen Krone. Manche lebten in bescheidenem Wohlstand, aber die meisten waren arme Kleinhändler, die dichtgedrängt in den alten Fachwerkhäusern wohnten.
    Hartog Gerson hatte damals die Hilfe des Stadtphysikus gebraucht. Die beiden jungen Ärzte konnten nur wenig tun, der Würgeengel ging um, so sagten die Leute, und erstickte die heiß fiebernden Kinder qualvoll. In jenen schreckensvollen Wochen entdeckten die beiden, dass sie mehr verband als ihr Beruf.
    «Mach dir nicht so viele Sorgen, Hartog», sagte Struensee mit unternehmungslustig glitzernden Augen, «wenn es ganz schlimm kommt, wandere ich eben aus. Nach Ostindien zum Beispiel. Dort sollen die Menschen sehr freundlich sein. Und kaum bigott. Am besten, du kommst mit. Und wegen des Fiebers – das trifft ja doch vor allem die Hamburger, solange sie nichts gegen ihre stinkenden Fleete unternehmen.»
    «Du hast leicht spotten, Struensee», klang eine trockene Stimme von der Treppe hinauf, «ihr Altonaer habt sauberes Wasser, so viel ihr wollt, aus euren vielen frischen Quellen. Bei uns in Hamburg bleiben den Leuten doch nur die Fleete.»
    Doktor Rohding trat ins Zimmer. Trotz der Hitze trug er seine Perücke, nur die geöffnete Weste war ein Zugeständnis an die erdrückende Schwüle. Sein schmales Gesicht mit der großen, etwas knolligen Nase war blass und ernst. Er warf seinen Rock über einen Stuhl, griff nach der Wasserkaraffe, die auf dem Tisch stand, und füllte ein Glas.
    «Auf Altonas Quellen!» Er hob das Glas und leerte es in einem Zug.
    «Rohding! Schön, dass Ihr da seid.» Struensee sah den Hamburger Kollegen prüfend an. «Ihr seid blass, Ihr braucht doch nicht etwa einen Arzt?»
    Der andere lächelte säuerlich. «Ein guter, aber methusalemischer Scherz, Struensee. Und ich bin einer der Gesündesten in der Stadt da drüben.»
    «Gewiss, weil Ihr reich genug seid und Euer Haus im letzten Jahr an die Wasserleitung von den Feldbrunnen angeschlossen habt.»
    «Spottet nur weiter. Ich würde auch lieber die Gesunden gesund erhalten, als die Kranken notdürftig zu behandeln. Aber erspart mir heute den Streit um das Wasser. Obwohl es gerade in diesen Tagen interessante Überlegungen zulässt. Wer uns Feldbrunnentrinkern übel will, muss nur ein wenig Arsenik in die Rohre schütten, und schon sind wir alle im Jenseits.» Er schnaubte missmutig und trat an das weit geöffnete Fenster.
    «Ihr wohnt idyllisch, Struensee», sagte er, «ich sehe nichts als endlose Wiesen und Felder, ein paar Gehöfte unter Eichen, Linden und Ulmen und drei, nein, vier Mühlen. Es riecht nach dem Heu, das die Leute dort drüben gerade wenden. Wenn ich aus meinen Fenstern im Valentinskamp sehe, ist da zwar noch der kleine Garten, sogar ein tapferer Kastanienbaum reckt sich zum Licht, aber gleich drum herum nichts als ein Gewimmel von Häusern, dunklen Höfen und zu vielen Menschen.» Er atmete tief die würzige Luft von den Feldern und fuhr fort: «Es stinkt in diesen Tagen bei uns ganz erbärmlich. Selten habe ich mich so sehr nach einem Garten vor den Wällen gesehnt. Oder wenigstens nach einem scharfen Nordwind.»
    Gerson, der immer noch über dem Mikroskop saß und dem Geplänkel der Freunde nur mit halbem Ohr gelauscht hatte, sah auf. So trübe kannte er Rohding nicht. Doch wenn er es recht bedachte, war Rohding seit dem Tod seiner Frau vor nun schon mehr als zwei Jahren stiller geworden. Die beiden hatten einander sehr geliebt, und niemand wusste so recht, woran sie gestorben war. Sie war jung und bis dahin immer gesund gewesen. So etwas war auch nicht gerade förderlich für die Reputation eines Arztes. «Bittet doch Euren neuen Heiligen um Wind, Rohding», sagte er. «Oder hat sich der Kometenbeschwörer schon wieder davongemacht?»
    Rohding schüttelte den Kopf. «Er steht immer noch auf dem Großneumarkt und lässt sich begaffen. Inzwischen hat er eine recht treue Anhängerschar. Ich werde nie verstehen, warum die Leute so gerne von ihren Sünden und vom Untergang der Welt hören.» Er ließ sich auf einen Stuhl fallen und reckte sich. «Aber vielleicht habt Ihr recht, Gerson. Ich sollte ihn fragen. Seine Drohungen scheinen ja tatsächlich Schritt für Schritt wahr zu werden. Der Himmel wird immer giftiger, immer mehr leiden am Fieber, und nun dieser seltsame Tod im

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