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Der Sommer des Kometen

Der Sommer des Kometen

Titel: Der Sommer des Kometen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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seinen Namen rufen hörte. Sie stand in der Tür des Salons, auf ihren Wangen glühten rote Flecken.
    «Noch ein Wort zu deiner Frage, Claes», sagte sie. «Ich bin sicher, dass er die beiden Männer nicht getroffen hat, seit wir in Altona sind. Aber du solltest bedenken, dass er vor unserer Ehe wie du und ich in Hamburg gelebt hat. Als ich ihn traf, fuhr er nur auf englischen Schiffen. Ich weiß nicht, wessen Schiffe er davor befehligt hat.»
    Montag, den 16. Junius,
nachmittags
    Augustus Marburgers Haus am Dreckwall war sehr groß. Tatsächlich bestand es aus zwei Häusern. Das linke, etwas schmalere, hatte er stets das Stammhaus genannt, denn als er darin wie zuvor sein Vater geboren wurde, beherbergte es die Wohnräume, die Zuckerbäckerei und das Lager. Seine Geschäfte gingen erstaunlich schnell immer besser, schließlich kaufte er das Nachbarhaus dazu und richtete darin eine sehr viel größere Zuckerbäckerei ein. Die Lage in der engen, ruhigen Straße war besonders günstig. Nur in solchen Straßen und Twieten konnte guter Zucker gemacht werden, denn die Erschütterung des Bodens durch vorbeiratternde Fuhrwerke oder Kutschen, durch die Hufe trabender oder gar galoppierender Pferde störten die empfindliche Kristallisation des Zuckers.
    Das erste Haus behielt Marburger als Wohnhaus für seine wachsende Familie. Außer den beiden Söhnen, von denen Wagner gesprochen hatte, gebar ihm seine Frau auch fünf Töchter. Das Haus hatte er von innen ganz und gar neu machen lassen, überall gab es seidene und lederne Tapeten, französische Sessel und Tische, italienische Uhren und Schränkchen. Die schönen Möbel aus dem fremden gelben Holz der Zuckerkisten, die auch die Hamburger Möbelmacher so kunstvoll tischlerten und an betuchte Bürger verkauften, kamen ihm nicht ins Haus. Die schlichte Vordertür aus polierter alter Eiche hatte er durch ein prächtiges Portal ersetzen lassen, umrahmt von zwei Pilastern, die einen reich mit steinernen Früchten und gewundenem Laubwerk geschmückten Giebel trugen. Der dickbäuchige Wassermann, den der Steinmetz gerne als Krönung des Kunstwerks gesehen hätte, hatte seine Gattin zwar entzückt, aber ihm war er für ein behauenes Stück Stein zu teuer gewesen.
    In die benachbarte Zuckerbäckerei gelangte man durch drei Eingänge. Der für die Zuckerknechte und Besucher befand sich an der Vorderseite des Hauses am Dreckwall. Der hintere bestand aus den Luken auf der Wasserseite des Gebäudes an der Kleinen Alster. Hier legten die Schuten und Ewer an, die den Rohzucker von den Schiffen und aus den Lagern der Zuckermakler brachten oder die in feste Kisten verpackten Zuckerhüte für ihre Reise über die Ostsee nach Schweden, Polen, Russland und Kurland oder über die Flüsse und über Land bis hinunter ins Österreichische einluden. Auch die schottische und englische Steinkohle für die Feuer unter den Zuckerpfannen, die Putten, runde Töpfe für den Sirup, und die Hutformen aus der besten Manufaktur am Stadtdeich, die nur den guten französischen Ton verarbeitete, sowie Kisten, Papier und Stroh für den sicheren Transport der brüchigen Zuckerhüte wurden hier angeliefert. Die Seilwinde hievte die schweren Lasten fünf Böden hoch hinauf und hinunter und war Tag um Tag in Betrieb.
    Der dritte Eingang verband die Dielen der beiden Häuser miteinander und war Marburger und seinen Söhnen vorbehalten. Seine Frau betrat die Zuckerbäckerei nie, und den Töchtern war es streng verboten, in die Nähe der groben Zuckerknechte zu kommen.
    Ein weiterer Durchgang in der Mauer auf dem letzten, dem fünften Boden direkt unter dem Dach, war nicht größer als eine Luke, mit dem Deckel einer Zuckerkiste nur notdürftig versperrt und lange vergessen. Nur Marburgers mittlere Tochter, ein eigensinniges Kind von großem Forscherdrang, kannte ihn. Aber sie war nun zwölf Jahre alt, fast schon eine junge Dame, und interessierte sich viel mehr für den neuen, ganz delikat nach Lavendel duftenden Gesangslehrer ihrer älteren Schwestern, dem sie mit staubigen Zuckerbödengeheimnissen gewiss nicht imponieren konnte.
    Das Kontor, in dem Sven Mylau zum Hilfsschreiber geworden war, lag im Hochparterre neben der Diele des Arbeitshauses. Es kostete Rosina Mühe, ihre Gedanken beim Zuckerhandel zu lassen. Sie hatte schon herausgefunden, dass in den Papieren des Kontors keine Geheimnisse zu entdecken waren. Es gab noch andere in Marburgers Zimmer, und solange Pagerian dort thronte, konnte sie es nicht wagen,

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