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Der Sommer hat lange auf sich warten lassen - Roman

Der Sommer hat lange auf sich warten lassen - Roman

Titel: Der Sommer hat lange auf sich warten lassen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luchterhand
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hatte. Ich stellte mir dann vor, wie sie in der Küche hantierte oder im Hinterhof unter dem Birnbaum las oder Socken stopfte, den Nähkorb mit dem geblümten Leinenfutteral neben sich auf der Holzbank, in dem unzählige Nadeln auf einem mit Kreuzstichen bestickten rotweißen Kissen steckten, neben verschiedenen Fingerhüten, Holzstricknadeln, Woll- und Garnresten. Ihre Haut war bleich, und sie trug einen Strohhut, unter den sie ihre roten Haare mit einem Band zu einem Knoten gebunden hatte, und alles um sie herum war Blau, helles Blau, ihre Lieblingsfarbe, zumindest gibt es in meinem Gedächtnis nur blaue Kleider und Schürzen, hellblau mit Streifen oder dunkelblau mit kleinen weißen Blumen. Wenn ich mich in diese Bilder vertiefe und den Duft des Lavendels in Mutters Schrank heraufbeschwöre, der sich ausbreitete, sobald ich die weißen Leinensäckchen zwischen meinen Fingern drückte, dann fühle ich ihre Hand, sanft, wie sie mir die Haare hinter die Ohren streicht. Ich habe Mutter in den ersten Jahren in Wien manchmal still um Hilfe gebeten, mich von Tante Elses Zwängen zu befreien, denn mein Leiden an Elses Ordnungssinn konnte nicht in ihrem Sinne sein, auch wenn sie sonst mit meinem neuen Zuhause zufrieden gewesen wäre. Ich bezweifle, ob meine Eltern mich damals aufs Gymnasium geschickt hätten. Keines der Mädchen in unserem Familienwohnhaus wollte später mehr als eine Lehre absolvieren oder die Haushaltungsschule abschließen. Tante Elses übertriebene Ordnung erklärte ich mir später mit ihrem Bedürfnis nach Rückzug und Sicherheit. Ihre Rituale schufen in ihrer Geschäftigkeit einen Raum, in dem sie sich vor den oft ruppigen Zurechtweisungen ihres um einige Jahre jüngeren Ehemannes sicher fühlen konnte, denn im Haushalt redete er ihr selten drein.
    Freiburg im Breisgau. Da drüben am Bahnsteig standen damals Lena und Phillip, als ich sie zum Zug gebracht hatte. Phillip mochte ich vom ersten Moment an, er passte in keinen der mir bisher bekannten Raster, die mir helfen sollten, die Gefährlichkeit von Menschen zu taxieren. Er ist gut zu meiner Tochter, ein feinfühliger Mann mit Manieren. Aufgewachsen ist er in einem Vorort von London, als Sohn einer Irin, die ihn allein aufgezogen und ihm ein Musikstudium ermöglicht hat. Alexander und ich hatten zu unserer Hochzeit eingeladen, die Trauung hatten wir mit Paul und Gina als Zeugen am Zivilstandesamt in Basel eine Woche vorher vollzogen. Geplant war ein gemeinsames Wochenende in einem Gasthof in einem Seitental des Schwarzwalds, und bei dieser Gelegenheit wollte ich Alexander Lena und Phillip vorstellen, die er beide noch nicht kennengelernt hatte. Die Wiedersehensfreude nach mehreren Jahren, in denen Lena und ich nur wenig Kontakt hatten, war groß gewesen und anfangs war alles harmonisch verlaufen, doch irgendwann an dem als Festmahl gedachten Abendessen, verabschiedete sich Lena sehr schnell unter dem Vorwand, sie hätte unerträgliche Kopfschmerzen. Als ich nach ihr sah, hatte sie mir mit verheulten Augen die Tür geöffnet. Nach einem langen feindseligen Schweigen begann plötzlich eine Tirade von Vorwürfen auf mich einzuprasseln, warum ich sie nicht auf das Standesamt eingeladen und Alexander ihr nicht vorher vorgestellt hätte. Es sei für sie schwierig, all dem zuzusehen und es gutzuheißen. Ich würde so tun, als ob sie mit meinem Leben überhaupt nichts mehr zu tun hätte, würde sie behandeln wie eine Fremde. Ich war erstaunt über ihre Verzweiflung, versuchte mich zu rechtfertigen, indem ich ihr sagte, sie hätte den Kontakt zu mir in den letzten Jahren vermieden und ich hätte nicht gedacht, sie hätte ein tiefergehendes Interesse an dem, was ich machen würde. Ich zog es nach ihrem unerwarteten Ausbruch vor, mich von ihr für die Nacht zu verabschieden.
    Am darauffolgenden Tag ist Lena mit Phillip, der vergebens um gute Stimmung zwischen mir und meiner Tochter bemüht war, früher abgereist. Die Fahrt in die Stadt verlief stumm, und dann folgten die nicht zu umgehenden Abschiedsfloskeln. Es war uns nicht möglich, irgendein Zauberwort zu finden, das Erlösung gebracht hätte. Einige Zeit haben wir danach nichts mehr voneinander gehört, und ich hatte Angst, nach Max auch Lena zu verlieren. Seither war ich nicht mehr in Freiburg, das ich mag, mit den Rinnsalen in den Gassen und den vielen jungen Menschen, die alles hier leicht erscheinen lassen, wenn man ihnen in den Cafés und Geschäften begegnet. Es erinnert mich an meine kurze

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