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Der Sommer hat lange auf sich warten lassen - Roman

Der Sommer hat lange auf sich warten lassen - Roman

Titel: Der Sommer hat lange auf sich warten lassen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luchterhand
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Gassen scheinen mir geschrumpft, alles klein und niedlich, fremd auch durch die neuen Fassaden, die das alte Fachwerk überdecken, künstlich die Vorgärten mit den asphaltierten Zufahrten und den großen elektronisch gesteuerten Garagentoren. Fast habe ich das Haus der Großmutter in der Riedstraße nicht wiedererkannt, mit den Aluminiumfenstern, die anstelle der mehrfach unterteilten Scheiben in vergrößerte Mauerlöcher eingesetzt worden waren. Es gab auch keine grünen Fensterläden mehr, die Simse waren abgeschlagen, auf denen früher Tontöpfe standen, in denen bunte Blumen wuchsen. Mutter hatte im Sommer mit Sorgfalt die trockenen und welken Blüten in einem kleinen weißen Emaileimer gesammelt. Den ganzen Tag habe ich Lena meine Geschichten erzählt, zu jeder Ecke ist mir etwas eingefallen. Auf dem Platz mit dem alten Steinbrunnen an der Kreuzung hatte ich mit den Nachbarskindern oft gespielt, bis uns die alte Käthe, die im Haus gegenüber wohnte, mit ihrem Gezeter vertrieben hatte.
    Am Abend bin ich die Vorstufen zum Hotel nur mit letzter Mühe hinaufgestiegen und saß anschließend zufrieden beim Abendessen, bei dem ich mir seit langem wieder grüne Sauce zum gekochten Rindfleisch bestellt habe. Früher gab es die nur um Ostern herum, und ich erzählte stolz, dass ich im Garten der Großmutter mein eigenes Kräuterbeet mit Petersilie, Kerbel, Kresse, Schnittlauch und Pimpernell betreuen durfte. Fast hatte ich den Geschmack schon vergessen gehabt, denn in Wien war diese Sauce unbekannt, und Max hatte ich dafür nicht begeistern können. Er blieb den althergebrachten Geschmäckern treu, wobei die Zutaten zum Tafelspitz sich auf Apfelkren und Schnittlauchmayonnaise beschränkten. Als ich Lena davon erzählte, machte sie mich darauf aufmerksam, dass ich ihrer Art zu kochen gegenüber auch nicht offen sei. Sie verwendete keine alten Rezepte, selten schmeckte etwas zweimal gleich, weil sie stets andere Gewürze und Gemüse miteinander kombinierte. Alles sollte aus der näheren Umgebung kommen, damit die Transportwege nicht zu weit waren. Früher war das selbstverständlich gewesen, und ich erzählte ihr, woher wir unsere Nahrungsmittel bezogen hatten. Das meiste stammte aus dem eigenen Garten oder von den Höfen im Dorf und im Umkreis, selten wurde etwas darüber hinaus gekauft. Doch irgendwie verstand sie meine Bemerkung als Kritik, weil ich ihr sagte, dass inzwischen ein kapriziöses Getue um solche Selbstverständlichkeiten gemacht würde. Insgeheim aber gebe ich Lena recht und finde ihre Haltung gut, auch wenn wir dann das Thema mieden.
    Inzwischen ist es spät in der Nacht, und ich sitze in meinem Hotelzimmer. Draußen auf der Straße fährt kein Auto mehr und im Hotel ist es ruhig geworden. Lena hat mir bei der Abendtoilette geholfen und dabei, das Bett so zu stellen, damit ich von beiden Seiten Zugang habe. Das erleichtert mir meinen üblichen Gang ins Bad. Beim Abschied hat sie mir einen Kuss auf die Wange gedrückt, den ersten seit langen Jahren. Langsam werde ich müde und meine schmerzenden Knochen geben mir zu verstehen, dass der Tag vielleicht zu lang gewesen ist, doch ich wollte mich nicht früher zurückziehen. Die Gespräche mit Lena sind friedlich verlaufen. Sie hatte ein paar alte Photographien ausgepackt und wollte von mir mehr darüber wissen, unter welchen Umständen sie entstanden sind. Einige Bilder von Max waren dabei, die ich schon fast vergessen habe, wie die Aufnahme von ihm neben seinem geliebten Fahrrad. Eine andere zeigt ihn und mich beim Schwimmen im See, auf der nächsten Max mit Brille, über eine Reparaturarbeit gebeugt, auf dem Balkon im Speiser-Hof. Ich bin froh, Lena noch einige Geschichten aus unserer gemeinsamen Zeit, bevor er gestorben ist, erzählen zu können, ohne dass sich diese eiserne Spannung, die ich von früher kenne, zwischen sie und mich legt.
    Als der Wirt beim Abendessen erfuhr, dass ich in Enkheim aufgewachsen bin, hat er uns aus Freude darüber einen Apfelwein spendiert und sich dann zu uns gesetzt. Ich habe erzählt, wo ich inzwischen lebe, und er begann von seinen Jahren in der Schweiz zu erzählen, auf die er stolz schien. Er hatte als junger Mann in einem der alten Familienhotels im Engadin gearbeitet, zuerst als Küchenbursche und dann als Kellner. Ich kenne dieses Hotel, ein markantes Haus, von einem Halt auf einem Ausflug mit Alexander zum Comer See. Wir hatten im großen Salon mit seinen hohen Fenstern, die den Blick auf umliegende Bäume und den

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