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Der Sommer hat lange auf sich warten lassen - Roman

Der Sommer hat lange auf sich warten lassen - Roman

Titel: Der Sommer hat lange auf sich warten lassen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luchterhand
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sich bei Kälte dann bläulich und werden innerhalb kürzester Zeit vollständig gefühllos. In solchen Momenten ist es dann schwierig, die Tastatur des Telefons zu bedienen, vor allem des kleinen Gerätes, das ich ständig bei mir trage, falls ich unterwegs Hilfe benötige. Alle wichtigen Nummern habe ich darin gespeichert, das heißt, Paul hat sie mir damals eingetippt, als wir uns entschlossen hatten, den Fortschritt in diesen Dingen nicht einfach zu ignorieren, sondern ihn uns zu Nutze zu machen. Fremd allerdings ist mir die Unbekümmertheit, mit der die Menschen überall telefonieren, wie hier im Zug: »Ja hallo, ich bin jetzt zwischen Freiburg und Mannheim …«, so klingt es aus allen Ecken und das in einer Lautstärke, an der selbst ich nicht vorbeihören kann, obwohl ich nicht im Mindesten wissen möchte, was es gestern Abend auf dem Firmenfest zu essen gegeben hat und wer wen abgeschleppt hat, wie es dann heißt.

Griechenland Juli 1944
    Max war mit seiner Kompanie nach einer langen Zugreise in Griechenland angekommen und dachte, dem Schlimmsten entkommen zu sein. Seine Angst, an der Ostfront eingesetzt zu werden, hatte sich nicht bewahrheitet. Von seinem Bruder, der an die Westfront verlegt worden war, hatte er nichts mehr gehört. Von unterschiedlichen Frontabschnitten beurlaubt, waren sie vor einigen Wochen noch abends, mit Walter aus dem Nachbarhaus, im Gasthof Schatz gesessen, und Max hatte gesagt, er werde nicht auf die Russen schießen, nie und nimmer, sie hätten ihn und Edgar im Vierunddreißigerjahr gerettet, denn zu Hause in Kapfenberg wäre es ihnen als Schutzbundkinder sicherlich schlecht ergangen.
    Max hatte Heimweh geplagt, als er in der Kaserne bei einem Konzert, veranstaltet vom »Bund Deutscher Mädchen«, mit den anderen Kameraden lauthals »Hoch auf dem gelben Wagen« gesungen hatte. Es war wie zu Hause beim Tanzabend im Werkgasthof, wo er oft den Mädchen mit den aufgesteckten Zöpfen und wehenden Röcken, die nach Lavendel und Kernseife rochen, zugesehen hatte. Er saß nach diesem Abend mit einem Kameraden zusammen, die Musikantinnen waren zu später Stunde von einem Autobus abgeholt worden, um für die Nacht Quartier zu beziehen. Keiner der Männer hätte ein Auge zugetan, wenn die jungen Frauen in der Kaserne übernachtet hätten, und so blieben sie Engel, wunderschön und fern.
    Seit er nach Griechenland verlegt worden war, hatte es kaum eine Verschnaufpause gegeben, ständig mussten sie zu Einsätzen gegen die Partisanen ausrücken. Er hatte sich keine Gedanken darüber gemacht, was es bedeuten würde, als er sich freiwillig in die Wehrmacht gemeldet hatte. Er wollte einfach weg aus dem Werk. Ein paar Arbeiter, die bei den Nazis eingetreten waren , hatten ihn bedrängt, er solle doch endlich auch der Partei beitreten. Sie hatten ihn in einer Nacht, als er vom Gasthof Schatz nach Hause wollte, derart verprügelt, dass er bewusstlos liegen geblieben war und am anderen Tag von Doktor Allmann eine Platzwunde am Hinterkopf zusammengeflickt bekommen hatte. Bruno, sein Kumpel, hatte ihm eines Abends gesagt, er solle die Sozialistische Partei vergessen. »Vielleicht haben wir nach dem Krieg eine Chance, aber jetzt kannst du entweder bei den Fackelzügen der Nazis mitmarschieren oder du marschierst im Krieg mit.« Bruno ist ein paar Tage später untergetaucht, und Max hatte ein halbes Jahr lang geglaubt, sie hätten ihn ins Gefängnis geworfen oder umgebracht. Aber ein Freund hatte ihm erzählt, Bruno sei nach Spanien gegangen und würde dort im Bürgerkrieg gegen die Faschisten unter General Franco kämpfen.
    Max hatte den Wachtposten oberhalb des kleinen Hafens bezogen, wohin sie am Morgen nach dem Konzert gebracht worden waren. Er sollte jeden erschießen, der sich aus dem Dorf entfernen wollte. Max hoffte, hier nicht lange ausharren zu müssen an diesem Tag, dessen kühler werdende Luft für die nächsten Stunden Regen verhieß. Vom Dorf, das sich entlang der rötlichen Felsen erstreckte, klangen immer lauter Stimmen zu ihm hinunter. Max konnte nicht verstehen, was gerufen wurde, doch wusste er was geschah und ertappte sich beim inständigen Stoßgebet. Hoffentlich würde kein Bewohner versuchen, sich im Hafengebiet zu verstecken oder hierher zu fliehen. Jeder konnte ein Partisan sein, auch Kinder würden Waffen oder Sprengstoff schmuggeln. Man vermutete in der Nähe ein Waffenlager der Widerstandskämpfer, das sie aus Abwürfen der Engländer zusammengetragen haben mussten. Vor zwei

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