Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Sommer hat lange auf sich warten lassen - Roman

Der Sommer hat lange auf sich warten lassen - Roman

Titel: Der Sommer hat lange auf sich warten lassen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luchterhand
Vom Netzwerk:
Tagen waren oben am Berg bereits mehrere Container hinter einem Stall, mit Steinen und Strauchwerk bedeckt, gefunden worden. Die Wehrmachtssoldaten trieben die Menschen auf dem Platz zusammen, ihre Häuser sollten niedergebrannt werden, eine Vergeltung, weil Partisanen dort angeblich Unterschlupf gewährt worden war. Max wusste, dass in anderen Siedlungen, weiter oben in den Bergen, solche Strafaktionen niemand überlebt hat, Sühnemaßnahmen, hieß es. Max hatte sich Griechenland anders vorgestellt, nicht diese einfachen Hütten, diese armen Bauern. Die Leute hier hatten oft keine Schuhe, ihre Füße waren in Lumpen gehüllt, es gab keinen Strom, keine asphaltierten Straßen. Max war von der Ruhe dieser Menschen beeindruckt, die sicherlich, wenn sie nicht als Soldaten gekommen wären, sie freundlich willkommen geheißen hätten. Ihre Gastfreundschaft konnte man in den Athener Cafés spüren, auch wenn Max wusste, dass die Städter sich schnell auf die deutsche Besatzung eingestellt hatten und versuchten, so gut es ging, ihren eigenen Profit daraus zu ziehen. Max selber hatte einen stillen Handel aufgebaut. Er war in der Kaserne für das Warenmagazin zuständig und verschiedene Artikel des täglichen Bedarfes, die inzwischen schwer aufzutreiben waren, wie Schnüre, Stoffe, Keramik oder dergleichen, hatte er mit Wissen seiner Vorgesetzten oder auf deren Anweisung, bei einem Mittelsmann aus der Vorstadt gegen Wein und Anisschnaps eingetauscht oder gegen den besonderen Schafskäse, den die Herren Offiziere besonders gerne aßen. Einer von ihnen hatte es auf antike Kunst abgesehen, und so war am Vortag in einem Lastwagen eine Büste der Athene zwischen zahlreichen Weinfässern angekarrt worden. Sie war inzwischen, stoßfest in einer Kiste verpackt, unter strenger Bewachung in einem Zug nach Berlin unterwegs. Max ging lieber solchen Geschäften nach, von denen Freund und Feind profitierten. In der Stadt herrschte Hunger, Max hatte die eingefallenen Gesichter und die spindeldürren Beine der Kinder an den Straßenrändern, unten in den Vierteln am Athener Hafen gesehen. Abends kamen Einzelne wie streunende Katzen an die letzten Häuserecken, die der Kaserne am nächsten lagen, und warteten auf die Männer, die zum Abendausgang das Areal verließen. Einige Soldaten hatten sich angewöhnt, wenn sie außer Sichtweite der Wachtposten waren, den Buben die gehamsterten Essensreste zuzustecken. Alle wussten davon, trotzdem fand die Übergabe in aller Eile statt, so als ob beide Seiten sich schämten. Max hatte auch von einem Soldaten gehört, der sich von den Buben das holte, was er bei den Frauen im Bordell nicht bekommen konnte.
    Am Hang oberhalb des Dorfes hatte sich eine Menschenschlange gebildet, die sich langsam dem schmalen Pfad folgend, bergauf bewegte. Durch den Feldstecher konnte Max die einzelnen Gestalten erkennen, die teils gebückt und humpelnd große Bündel mit sich schleppten. Darin befand sich das Hab und Gut, das sie beim Verlassen ihrer Häuser und Hütten mitgenommen hatten. An der Spitze des Zuges marschierten zwei Männer in Wehrmachtsuniform, ebenso am Ende. Max war erleichtert, dass sie die Gewehre nicht im Anschlag hielten und nur bis zur Kuppe des Hügels mitgingen und dann im Laufschritt den Hang wieder hinunterliefen. Nur ein Wachposten blieb dort zurück, wo der Weg über die steinige steile Weide ins nächste Tal führte. Dann wurde das erste Haus am Dorfplatz in Brand gesteckt. Funken und schwarzbrauner Rauch quollen aus den Fenstern, vereinten sich zu einer Wolke, die nach und nach immer dichter wurde, als die umliegenden Gebäude Feuer fingen. Das Knistern der Flammen, das über die Dächer leckte, drang immer lauter hinunter zu Maxens Standort oberhalb des Hafens.

London Juni 2011
    Das Gewitter ist vorüber, die drückende Schwüle hat sich gelegt. Es bleiben mir noch ein paar Stunden für die letzten Reisevorbereitungen. Ich habe meinen Patz auf der Terrasse wieder bezogen und vervollständige die Liste mit den Arbeiten, die in den nächsten Wochen erledigt werden sollen, damit ich am Wochenende nicht ans Atelier denken muss, sondern mich ganz Mutter widmen kann. Die Hektik um die Modenschau ist abgeklungen, und die verbliebene Arbeit kann ein paar Tage warten, bis ich wieder zurück bin. Der Abend war ein Erfolg, und ich bin zufrieden, denn mit den Eintrittserlösen kann ich einen Großteil der Ausgaben für die Anmietung der Schiffsbauhalle bezahlen und einen Anerkennungsbetrag an die

Weitere Kostenlose Bücher