Der Sommer hat lange auf sich warten lassen - Roman
antrat, konnte sie endlich ihre Ausbildung zur Krankenschwester abschließen. Jagbauer, der in der Nachbarschaft wohnte, hatte Max die Arbeit vermittelt, und er sollte ein echter Freund werden, der zur Familie gehörte. Jagbauer und Max hatten sich in Griechenland kennengelernt und waren sich nach dem Krieg in einem Gasthaus an der alten Donau unverhofft über den Weg gelaufen. Jagbauer war Südtiroler und als italienischer Soldat, nachdem Italien den Deutschen, mit denen es zuvor noch verbündet war, den Krieg erklärt hatte, in Griechenland in deutsche Gefangenschaft gekommen und knapp einer Erschießung entgangen. Ein Offizier aus Maxens Wehrmachtseinheit hatte sich dem Befehl widersetzt, die ehemaligen Verbündeten hinzurichten. Jagbauer hatte sich mit seiner Wiener Frau, die er nach der Heimkehr aus der Gefangenschaft kennengelernt hatte, in Floridsdorf niedergelassen und bald Arbeit gefunden.
Max lehnte sich zurück und legte seine Hand auf Margarethes Arm. Sie hatten sich bisher nie viel Luxus leisten können und die Idee, eine zusätzliche Wohnung zu mieten, stieß bei Margarethe auf Widerstand. Doch er war der Meinung, es würde einfacher für alle, wenn sie nicht mehr in der gemeinsamen Wohnung lebten. Max drückte die Zigarette im Aschenbecher aus, der bereits überquoll von den Kippen. Sie erinnerten daran, wie lange er bereits in dieser Nacht wieder auf dem Balkon gesessen war.
London Juni 2011
Am Nachmittagshimmel braut sich ein Gewitter zusammen, und ich freue mich auf den warmen Regen und die dicken Tropfen, die auf das Gras und den Asphalt der Straße fallen werden. In der stickig feuchten Frühsommerstimmung ist es mir vergangen, das Sakko zuzuschneiden, aus demselben Manchesterstoff wie die Knickerbocker, die ich auf der Reise morgen anziehen werde. Gestern hatte ich keine Lust, daran zu arbeiten, und habe mich bei strömendem Regen nur dazu aufraffen können, alte Dokumente, Briefe und Photographien zu sortieren, auf der Suche nach den Bildern, die ich nach Bergen-Enkheim mitnehmen könnte, um sie mit Mutter anzusehen. Sie hat die erste Phase der Renovierung der Fabrik nicht miterlebt und auch nicht die Eröffnungsfeier des Modeateliers. Theo als Welpe, das Bild mag ich besonders, und es wird ihr auch gefallen. Mit ihm verträgt sie sich gut und er lässt sich in seiner Langmut von ihr ohne Aufbegehren herumkommandieren. Die beiden haben einen Narren aneinander gefressen, Theo schleckt ihr sanft die Hände ab und sie lässt es sich zu meinem Erstaunen gefallen und schaut dabei ganz versunken drein, als sei sie schon seit ewiger Zeit nicht mehr zärtlich berührt worden. Mir ist auch unerwartet mein Hochzeitsbild in die Hände gefallen, auf dem Gregor, mein erster Mann, und ich vor einem verwaschenen blauen Atelierhintergrund in kurzen Hosen posieren. Beide braungebrannt, in einem Photostudio in Los Angeles, auf das wir, nach dem kurzen Amtstermin, bei unserer ziellosen Fahrt durch die Stadt gestoßen waren und uns spontan entschlossen hatten, ein Bild von uns an diesem Tag anfertigen zu lassen. Wir waren berauscht vom Mut, mit dem wir uns dem Ritual unterzogen hatten, dem wir eher skeptisch gegenüberstanden. In unseren Vorstellungen war eine Hochzeit verbunden mit einer Familienfeier und vielen nichtssagenden Floskeln, Kleidervorschriften und Streitereien unter den Verwandten. Unsere Blicke gleiten aneinander vorbei, Gregors Augen sind auf die Kamera gerichtet und ich blicke aus dem Bildrand schielend hinaus in die Ferne, am linken Auge des Betrachters vorbei. Niemand wusste von dieser Ehe, und es gab auch keinen Grund, es jemandem zu sagen. Wir wollten nur uns Rechenschaft darüber ablegen, dass wir gewillt waren, zusammenzubleiben. Die Scheidung fand fünf Jahre später an einem Januartag mit nassem Schneeregen statt. Vor dem Gerichtstermin wollten wir uns in einem Café treffen und uns versichern, dass wir uns nichts in den Weg legen würden. Der Frau, die er dorthin mitgebracht hatte, war ihre eigene Anwesenheit unangenehm, und ich vergaß von Mal zu Mal diese Szene, weil ich es nicht wahrhaben wollte, dass Gregor zehn Jahre später mit dieser Frau und drei Kindern in einer Villa, die ihren Eltern gehörte, am Grazer Rosenhügel wohnen und bei einem bekannten Architekten Karriere machen sollte. Mutter habe ich von unserer Heirat nie erzählt. Sie mochte Gregor nicht und hätte ein saures Gesicht gemacht, das ich mir in meiner anfänglichen Verliebtheit und späteren Verzweiflung und
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