Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman

Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman

Titel: Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: btb Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
Vom Netzwerk:
alten Küche der Familie Miller, von der niemand mehr übrig war, nur Pokale und Urnen. Frank fühlte sich einen Moment lang gesegnet und konnte sich nicht daran erinnern, jemals glücklicher gewesen zu sein. Das musste dann höchstens in dem Moment gewesen sein, als sein Vater auf dem Rasen unter der Dachrinne in der April Avenue starb.
    Die folgenden Wochen geschahen weniger Unfälle als üblich und sofort glaubten die Leute, es ginge auf bessere Zeiten zu, einige gingen so weit, dass sie meinten, die guten Zeiten seien bereits wieder zurückgekommen. Mehr bedurfte es dafür nicht. Nur ein paar Tage ohne ernste Unfälle, und die Einwohner von Karmack sahen bereits einen Aufschwung vor sich. Doch es kam kein Aufschwung nach Karmack, abgesehen von Arthur Clintstone, der war der reinste Aufschwung in Person. Denn mit der Summe, die er bekommen hatte, nachdem seine Mutter verbrannt war, ein nicht unbedeutender Betrag, startete er seine eigene Reinigungsfirma, Clintstones True Cleaners, und das war keine übliche Reinigungsfirma, die Böden wischte, Fenster putzte und den Müll hinausbrachte. Arthur Clintstone fand nämlich eine Nische, die einzige Nische in Karmack, die noch wuchs. Er spezialisierte sich auf Tatorte. Er wusch all den Dreck weg, der nach den Unfällen liegen blieb: Knochensplitter, Körperteile, Körperflüssigkeiten. Er tat das, wozu sonst niemand Lust hatte oder in der Lage war, und er machte es gut. 500 Dollar für Blut, 1000 Dollar für Exkremente, 5000 für Gehirnmasse. Seine Frau führte Buch und die Kinder wussten, was sie werden wollten, wenn sie einmal groß waren. In den Unfällen steckt das Geld, sagte Arthur Clintstone. Und es bereitete ihm keine Sorgen, dass es eine Weile weniger Unfälle gab. Früher oder später würde wieder ein Aufschwung kommen, sagte Arthur Clintstone, und gab dem Begriff schlechte Zeiten einen neuen Inhalt. Er schaffte sich einen Van an, und wenn die Leute den sahen, dann wussten sie, dass etwas passiert war.
    »Bald gibt es keinen Unterschied mehr«, sagte Frank.
    »Wozwischen?«, fragte Blenda.
    Sie lagen in ihrem Bett, und Frank konnte schwören, dass er Musik und Gelächter aus dem geschlossenen Kinosaal direkt unter ihnen hörte.
    »Zwischen guten und schlechten Zeiten.«
    Auch wenn die Anzahl der Unfälle sank, so wurden sie dafür immer verzwickter. Es schien, als würden die Unfälle die Bevölkerung verhöhnen und sie zum Narren halten. Auch der Pfarrer kam nicht ungeschoren davon. Er, der doch gefleht und zu Gott gebetet hatte, Karmack vor weiteren Unfällen zu verschonen, er wurde selbst getroffen. Es war ein Zeichen, über das niemand hinwegsehen konnte. Es geschah an einem Sonntag, als er auf dem Heimweg von der Kirche war. Aus irgendeinem Grund entschied er sich dafür, entlang der Eisenbahnschienen zu gehen. Vielleicht wollte er sich nicht den Menschen zeigen, niedergeschlagen, wie er von den wenigen Kirchenbesuchern war. Genau an diesem Sonntag war nur eine Handvoll gekommen, und einige verließen sogar ihre Plätze mitten in der Predigt, die von denen, die bis zum Ende durchhielten, als absoluter Quatsch von Anfang bis zum Ende bezeichnet wurde. Er hatte in so unerklärlichen und fremden Bildern gesprochen, dass sie eher Beleidigungen und Blasphemie ähnelten. Gott sollte seine eigene bittere Medizin zu schmecken bekommen. Auf jeden Fall blieb der Pfarrer, auf dem Weg entlang der Eisenbahnschienen, dort stehen, wo die Jugendlichen früher im Herbst Blumen niedergelegt und Kerzen entzündet hatten. Jetzt befand sich zwischen den Schwellen nur ein verdorrtes Blumenbeet und eingetrocknetes Kerzenwachs, das aussah wie schmutzige Tränen. Deshalb beugte er sich hinunter und wollte nach der Trauer aufräumen. Es machte ihn wehmütig, den Müll zu sehen, der einst im Namen der beiden Mädchen geglänzt hatte, Veronica und Marion, sowohl des toten als auch des lebenden. So weit war es also gekommen. Wir weinen schmutzige Tränen, murmelte der Pfarrer. Es waren seine eigenen Tränen, die fielen. Er steckte die Hand in die Manteltasche und suchte nach seinem Taschentuch, doch er fand es nicht. Er stand gebeugt und verdreht da und suchte nach seinem Taschentuch, und als ihm endlich einfiel, dass Frank Farrelli es hatte, war es zu spät. Der Pfarrer hörte ein Geräusch, ungefähr wie das Klicken eines Schlosses, wenn der Schlüssel umgedreht wird. Erst als er versuchte sich aufzurichten, verstand er, was das für ein Geräusch gewesen war. Denn es gelang ihm

Weitere Kostenlose Bücher