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Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman

Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman

Titel: Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: btb Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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der Innenbahn zu überholen, dachte Bob Spencer und ergriff Arthur Clintstones Hand.
    Als der Pfarrer am Montagmorgen nicht auftauchte und im Laufe des Tages auch nichts von sich hören ließ, sahen sich der Arzt und der Sheriff gezwungen, bei ihm zu Hause nachzuschauen. Dort fanden sie den Pfarrer auf dem Sofa, immer noch in Hut und Mantel und in einer elenden Verfassung. Es war nicht nur der Rücken, der sich verdreht hatte. Dem Pfarrer selbst war das Gleiche passiert. Er hatte seine Seele verstaucht, wie er es ausdrückte, und war gegen so ziemlich alles. Vielleicht wollte er einfach nur leiden. Es hatte nämlich alles einen Sinn. Das reine Leiden war notwendig. Erst dann kam man weiter. Wohin weiter? Der Arzt versuchte ihm diesen Blödsinn auszureden. Wohin weiter? Zu noch mehr Leiden? Doch der Pfarrer beharrte stur auf seiner Meinung. Er nahm das Leiden um Karmacks willen auf sich. Nur auf diese Art und Weise kamen die Einwohner ungeschoren davon. Der Pfarrer befand sich auf einer anderen Ebene. Sie gaben ihn bis auf Weiteres erst einmal auf. Und ehrlich gesagt kamen diese Verwirrungen dem Arzt und dem Sheriff ganz gelegen. Seit Veronica Mills’ Beerdigung war der Pfarrer nicht mehr in der Lage gewesen, seinen Pflichten nachzukommen. Jetzt mussten sie ihn nicht von sich aus krankmelden.
    Dann war Frank an der Reihe. Er wusste nicht so recht, ob man das einen Unfall nennen konnte, das heißt, für ihn war es ein schwerer Unfall, aber für andere erschien es wohl eher als eine Bagatelle, ein Versehen, und gerade deshalb war es so bitter. Er hatte nämlich beschlossen, den Goldfisch umziehen zu lassen. Er vertraute einfach seiner Mutter nicht mehr. Sie war zu allem fähig. Doch gerade als er das Glas auf den Nachttisch stellen wollte, stolperte er über den Flickenteppich, der davor lag, fiel zu Boden, und Mark, sein in die Jahre gekommener Goldfisch, rutschte unter das Bett, während sich die Glasscherben wie ein Fächer in dem grünen Wasser, das sich über den Boden ergoss, ausbreiteten. Dann wurde es still. Frank suchte hektisch überall herum. Als er Mark endlich gefunden hatte, war dieser tot.
    »Das wurde aber auch Zeit«, sagte seine Mutter.
    Frank schaffte es nur mit Müh und Not, auf die Beine zu kommen. Seine Mutter lehnte sich an den Türpfosten.
    »Zeit? Zeit für was?«
    »Dass du diesen Goldfisch loswirst.«
    Frank ging zu seiner Mutter und hätte ihr am liebsten den ganzen Fisch ins Gesicht gedrückt.
    »Mark hat viel für mich bedeutet«, sagte er, »nur dass du es weißt.«
    »Die Leute lachen über dich, Frank.«
    »Sie lachen? Warum?«
    »Ein erwachsener Mann mit einem Goldfisch. Mein Gott, Frank. Überleg doch mal.«
    »Es ist mir scheißegal, was die anderen denken.«
    »Blenda auch?«
    »Blenda? Was ist mit Blenda?«
    »Was mit ihr ist?«
    »Lacht sie über mich?«
    »Du musst die Vergangenheit hinter dir lassen, Frank. Gerade jetzt.«
    »Gerade jetzt? Was zum Teufel soll das bedeuten?«
    »Wenn es etwas mit dir und Blenda werden soll, dann musst du nach vorn sehen. Du wirst nicht mehr so viele Chancen bekommen.«
    Frank ging hinaus, setzte sich auf die Türschwelle und überlegte, was er mit Mark machen sollte. So war es also. Sie lachten über ihn. Niemandem tat jemand leid, der seinen Goldfisch nach 22 Jahren verlor. Niemandem tat jemand leid, der die Maschine ausstellte, die seinen Kumpel am Leben hielt, ganz im Gegenteil, sie wandten sich ab, wenn er kam, und redeten hinter seinem Rücken, wenn er ging. Dieses seltene, gesegnete Gefühl, das er gespürt hatte, als er in der Küche von Millers Haus gesessen hatte, das war schon lange verschwunden. Frank fühlte sich ungerecht behandelt. Das hatte er nicht verdient. Zumindest seiner eigenen Meinung nach. Er hatte sich immer ungerecht behandelt gefühlt, in der Schule, hinterm Schalter im Bahnhof, als der Bahnhof stillgelegt wurde, immer fühlte er sich ungerecht behandelt, und jetzt, wo er glaubte, das wäre vorbei, die Dinge würden endlich ihren Lauf nehmen, das Leben sich sozusagen zurechtrücken, da fühlte er sich ungerechter behandelt als je zuvor. Nur als sein Vater starb, da bedauerten die Leute Frank. Die folgenden Monate waren die beste Zeit in seinem Leben gewesen. Es wurde Rücksicht auf ihn genommen. Er wurde gesehen und geschätzt. Doch auch das hatte ein Ende. Die Leute wurden all seiner Trauer überdrüssig. Darüber dachte Frank Farrelli nach, während er hinter dem Haus saß, mit einem Fisch, der 22 Jahre alt und tot

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