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Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman

Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman

Titel: Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: btb Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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diesem Sommer konnte ich meine Mutter nicht verstehen. Zuerst bittet sie mich, Iver Malt zu grüßen. Dann sagt sie, er sei nicht gut, anschließend, dass er einem leid tun kann und zum Schluss, dass ich mich von ihm fernhalten soll. Und trotzdem will sie, dass ich zum Signalen gehe und die Konservendose zurückgebe. War das alles eine Frage von Höflichkeit? Höflichkeit zeigt sich im Handeln. Was wir sagten, wenn niemand uns hörte, spielte keine Rolle. Aber beim Handeln kann man auch schummeln. Handlungen können verlogener sein als Worte. Der Unterschied ist nur, dass du ein Wort zurücknehmen kannst. Mit Handlungen geht das nicht. Ich hätte Iver Malt nie grüßen sollen.
    Unten an den Briefkästen begegnete ich leider Lisbeth. Andererseits konnte ich ihr vielleicht ein paar Worte über das neue Mädchen entlocken. Aber ich war nicht besonders gut darin, anderen etwas zu entlocken. Eigentlich war ich überhaupt nicht gut im Reden, und wenn es um eine Unterhaltung ging, konnte ich gleich einpacken. Lisbeth sah müde und verschlafen aus. Einen Moment lang glaubte ich, sie wäre beschwipst, aber das war nicht möglich. Es war ja noch nicht einmal zehn Uhr. Jedenfalls zeigte sie auf die Dose.
    »Willst du angeln?«
    »Nein. Die Zeitung holen.«
    »Dazu braucht man unbedingt Haken und Leine.«
    Das Einzige, was ich sie gern gefragt hätte, war, wie denn ihre Freundin hieß und wer sie war. Aber ich schaffte es nicht. Ich traute mich nicht. Die Worte kamen mir nicht über die Lippen. Sie kamen mir nicht einmal in den Mund. Wenn das noch länger dauerte, lief ich Gefahr zu explodieren, mit allem, was dazugehörte.
    »Ja, unbedingt. Wusstest du nicht, dass die Aftenposten dieses Jahr von fliegenden Fischen geliefert wird?«
    Lisbeth sah mich misstrauisch an.
    »Willst du wieder runter zu dem Verrückten?«
    »Welchem Verrückten?«
    »Welchem Verrückten? Natürlich Iver Malt. Gibt es noch andere Verrückte hier in der Nähe?«
    Ich hätte sagen können, dass sie in diesem Moment gerade mit einem sprach, und vielleicht tat ich das ja auch, stand da und sprach mit einer Verrückten, also Lisbeth, wir waren zwei Verrückte, die sich an den Briefkästen unterhielten, aber wie gesagt, ich war nicht besonders flink mit dem Mundwerk.
    »Da habe ich so meine Zweifel«, sagte ich. »Zumindest keinen, der so verrückt ist wie Iver Malt.«
    Lisbeth lachte, aber mit geschlossenem Mund.
    »Kein Wunder. Seine Mutter ist ein Nazi und sein Vater ein Alki.«
    »Ja, so sagt man. Und dann haben sie einen Hund, der nicht bellen kann.«
    »Falsch. Iver hat einen Halbbruder, der nicht reden kann. Ein Deutschenbalg.«
    »Der, der weggegeben wurde?«
    »Wieder falsch, mein Süßer. Er wurde verkauft. Die Mutter hat ihn in Geschenkpapier eingewickelt und ihn für zwei Kronen fünfzig verkauft.«
    Ich lachte mit und hasste mich selbst.
    »Geschieht ihm recht«, sagte ich. »Zwei Kronen und fünfzig Öre. Aber war die Krone damals nicht noch mehr wert?«
    »Kommst du heute mit nach Sandvika?«
    »Ich glaube nicht, dass es klappt.«
    »Nun stell dich nicht so an, Chris. Wir nehmen Puttes Boot. Dann kaufen wir Bier und Heißwecken und amüsieren uns.«
    »Ich habe meiner Mutter versprochen, den Fahnenmast zu streichen.«
    Lisbeth sah mich lange an.
    »Weißt du, was ich glaube? Ich glaube, du solltest dich doch lieber mit dem Verrückten abgeben.«
    »Aber klar. Iver Malt ist nun wirklich unter meiner Würde.«
    »Unter deiner Würde. Das hat gesessen, Chris. Aber warum gibst du dich dann nicht mit uns ab?«
    »Vielleicht ein andermal.«
    »Du hast gehört, was Putte gesagt hat. Sei dir nicht sicher, dass es ein andermal gibt.«
    »Putte muss schrecklich klug sein«, sagte ich.
    »Ist dein Fuß schlimmer geworden, Chaplin?«
    »Nein, wieso?«
    »Du hinkst. Stärker als letztes Jahr. Oder ist das nur die Pubertät, aus der du einfach nicht rauskommst?«
    »Ich kann doch nicht hinken, wenn ich still stehe.«
    »Jetzt bist du aber schrecklich klug, du großer Angler. Es ist mir aufgefallen, als du auf mich zugekommen bist.«
    »Ich weiche zur Seite aus, das ist was ganz anderes.«
    Lisbeth zog die Aftenposten aus dem Briefkasten des Amtsrichters und ging. Aber nur ein kleines Stück, dann drehte sie sich um.
    »Übrigens wird Heidi auch mitkommen.«
    »Heidi? Wer ist Heidi?«
    »Wer? Diejenige, von der du gestern gar nicht genug sehen konntest, du Blödmann.«
    Ich machte mich mühsam auf den Weg, das letzte Stück hinunter zum Anleger, peinlich

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